Ich komme nun zu besonderen Fallgruppen des Personenschadens und beginne mit den Schwerstverletzungen, für die das Schmerzensgeld eigentlich besonders wichtig ist. Hier war jedoch der Beschluss des Großen Zivilsenats von 1955 mit der Annahme einer Doppelfunktion – nämlich Ausgleich und Genugtuung – eher kontraproduktiv. Denn er hatte zur Folge, dass der BGH bis zum Jahr 1992 bei schweren Verletzungen mit weitgehendem Verlust der Persönlichkeit (ich erinnere an das Schlagwort von der menschlichen Hülle) nur geringe Schmerzensgelder von zuletzt ca. 30.000 DM zuerkannt hat. Er verstand nämlich die – zugegebenermaßen recht dunklen – Ausführungen des Großen Zivilsenats dahin, dass weder für einen Ausgleich im herkömmlichen Sinn noch für eine vom Geschädigten empfundene Genugtuung durch das Schmerzensgeld Raum sei, wenn die Verletzung so tiefgreifend sei, dass der Verletzte die eigene Behinderung und ihren Zusammenhang mit einer Geldentschädigung nicht erfassen könne. Er hat sogar erwogen, in solchen Fällen gänzlich von einem Schmerzensgeld abzusehen, dann aber doch aus einem "verfeinerten Sühnegedanken" hergeleitet, dass die schwere Beeinträchtigung des Menschseins nicht ohne eine wenigstens zeichenhafte Wiedergutmachung bleiben dürfe und hat deshalb ein im Vergleich zu bewusst erlittenen Verletzungen geringfügiges Schmerzensgeld unter dem Blickpunkt zeichenhafter Sühne und symbolischer Wiedergutmachung zugebilligt. Der VI. Zivilsenat hat also – in dürren Worten – den Großen Zivilsenat dahin verstanden, dass die Ausgleichsfunktion das Bewusstsein des Geschädigten von seiner Beeinträchtigung voraussetze. So wurde jedenfalls seine Rechtsprechung verstanden und deshalb vielfach kritisiert.
Diese Rechtsprechung hat der BGH im Jahr 1992 aufgegeben, weil er in einem Fall fehlerhafter Geburtsleitung mit schwersten Behinderungen des Kindes zum Ergebnis kam, dass der Beschluss des Großen Zivilsenats nicht zwingend ein subjektives Verständnis der Ausgleichsfunktion erfordere, sondern es auf das objektive Ausmaß der Beeinträchtigung ankomme. Das führte zu einem Urteil von weit reichender Bedeutung. In diesem Urteil heißt es, dass derart schwere Beeinträchtigungen mit Blick auf die verfassungsrechtliche Wertentscheidung in Art. 1 GG eine wesentlich stärkere Gewichtung verlangten und sich deshalb eine lediglich symbolhafte Bewertung des Schmerzensgeldes verbiete.
Wenn die Beeinträchtigung in der Zerstörung der Persönlichkeit bestehe und zur Folge habe, dass der Geschädigte seine Beeinträchtigung nicht empfinde, sei auch dies ein Bestandteil seines immateriellen Schadens und deshalb im Rahmen des gebotenen Schadensausgleichs zu berücksichtigen. Dabei bestimme sich die Beeinträchtigung der Persönlichkeit anhand einer Gesamtbetrachtung des Schadensbildes. Bei der Beurteilung, worin im Einzelfall der immaterielle Schaden bestehe, könne deshalb durchaus von Bedeutung und folglich auch von Einfluss auf die Bemessung des Schmerzensgeldes sein, ob sich der Verletzte seiner schweren Beeinträchtigung bewusst sei und darunter leide. Während Ansprüche auf Ersatz der eigentlichen Pflegekosten im Rahmen der materiellen Schadensersatzansprüche des Geschädigten entschädigt werden, ist dessen immaterieller Anspruch nach den Ausführungen des BGH auch dann, wenn er wegen einer schweren Beeinträchtigung selbst keine Genugtuung mehr empfinden kann, so reichlich zu bemessen, dass er sich die besondere Sorgfalt und Zuwendung des Pflegenden verschaffen kann.
Dieses Urteil enthält nicht nur wichtige Grundsätze zur Bemessung des Schmerzensgeldes bei Schwerstschäden, sondern zeigt auch die Bedeutung eines möglichst gehaltvollen Tatsachenvortrags, ohne den eine angemessene Bewertung des Anspruchs nicht möglich ist. Insgesamt ist eine sehr differenzierte Würdigung des Schadensbildes geboten, die natürlich einen entsprechend differenzierten und detaillierten Vortrag erfordert.