Damit komme ich zum psychischen Schaden. Dieser wird oft durch eine HWS-Verletzung vermittelt, es kann aber auch eine andere Körperverletzung sein.
1. Vortrag im Prozess
Im Prozess behauptet der Kläger meist eine Körperverletzung durch den Unfall, auf die er seine Beschwerden und die dadurch verursachte Erwerbsunfähigkeit zurückführt. Wenn das vom Gericht eingeholte Sachverständigengutachten keinen körperlichen Befund ergibt, der die Beschwerden des Klägers erklärt und auch keine Anhaltspunkte für eine Simulation dieser Beschwerden bestehen, stellt sich die Frage, ob diese auf einer psychischen Fehlverarbeitung beruhen. Dann wird oft bereits der orthopädische Sachverständige eine neurologisch-psychiatrische Begutachtung anregen. Das kann der Kläger aufgreifen, indem er ein solches Gutachten beantragt.
Nach Auffassung des OLG Hamm reicht bereits ein solcher Antrag, um eine psychische Fehlverarbeitung substantiiert vorzutragen. Bleibt der Kläger hingegen bei seinem Vortrag, er habe sehr wohl körperliche Schäden erlitten, hat das Gericht nicht etwa von Amts wegen die Frage einer psychischen Fehlverarbeitung aufzugreifen und begutachten zu lassen, sondern muss lediglich prüfen, ob eine weitere Begutachtung zu den Körperschäden erforderlich ist. Wird die psychische Fehlverarbeitung erst im Revisionsverfahren geltend gemacht, ist das mit Sicherheit zu spät. Verfehlt ist es jedenfalls, mit der Revision vorzutragen, dass der Kläger – wenn er die Rechtsprechung zum psychischen Folgeschaden gekannt hätte – einen solchen in den Tatsacheninstanzen geltend gemacht hätte. Einen solchen Fall hatten wir tatsächlich und es lässt sich denken, wie er ausgegangen ist. Zwar kann im Einzelfall eine psychische Fehlverarbeitung (auch) darin bestehen, dass der Geschädigte seine Beschwerden auf eine körperliche Ursache zurückführt, die tatsächlich nicht mehr existiert oder vielleicht nie existiert hat, und es kann sicher eine Störung der Gesundheit im Sinn des § 823 Abs. 1 BGB darstellen, wenn sich dieser Irrtum derart verfestigt, dass er sich als psychische Störung manifestiert oder in eine solche konvertiert und dann zur Erwerbsunfähigkeit führt. Das müsste aber im Prozess vorsorglich geltend gemacht werden. Die Frage, ob der Anwalt dies für seinen Mandanten vortragen soll oder darf, auch wenn dieser in Verkennung seines Zustands auf dem Vorliegen einer Körperverletzung beharrt, kann ich aus richterlicher Sicht nicht beantworten, sondern muss das den erfahrenen Anwälten überlassen.
2. Psychischer Folgeschaden
Wird der psychische Schaden als Folge einer Körperverletzung geltend gemacht, gilt das Beweismaß des § 287 ZPO. Hier können sich aber beträchtliche Zurechnungsprobleme stellen. Grundsätzlich hat der Schädiger für seelisch bedingte Folgeschäden einer Verletzungshandlung auch dann einzustehen, wenn sie auf einer psychischen Anfälligkeit des Verletzten oder auf einer neurotischen Fehlverarbeitung beruhen. Das ist eine Konsequenz aus dem Grundsatz, dass eine konstitutive Schwäche des Geschädigten nicht dem Schädiger zugutekommen soll. Andererseits muss diese Haftung Grenzen haben, weil solche Beeinträchtigungen oft vielschichtige Ursachen haben und zudem objektiver Nachprüfung weitaus weniger zugänglich sind als körperliche Schäden. Mit diesem Zurechnungsproblem hat sich der BGH immer wieder befasst. Nachdem sich Begriffe wie Zufallsursache und Kristallisationspunkt wegen ihrer Unbestimmtheit als unzureichend erwiesen hatten, hat der BGH in mehreren Grundsatzentscheidungen aus den Jahren 1996 und 1997 neue Kriterien zur Begrenzung der Haftung entwickelt.
Danach setzt eine Haftung bei psychischen Beschwerden mit Krankheitswert, jedoch ohne feststellbare Körperverletzung voraus, dass der Schaden in unmittelbarem Zusammenhang mit der durch den Schädiger geschaffenen Gefahrenlage steht, die psychischen Beschwerden also als verständliche Reaktion auf den Unfall angesehen werden können. Ein rein äußerlicher Zusammenhang genügt nicht. Die Haftung kann auch entfallen bei grobem Missverhältnis zwischen dem Anlass und der psychischen Reaktion, sodass der Unfall nicht völlig geringfügig im Sinn einer Bagatelle sein und nicht gerade auf eine spezielle Schadensanlage des Verletzten treffen darf. Der erforderliche Zurechnungszusammenhang zwischen unfallbedingten Verletzungen und Folgeschäden ist auch zu verneinen, wenn die Beschwerden entscheidend durch eine neurotische Begehrenshaltung geprägt sind. In einem im Jahr 2013 vom BGH entschiedenen Fall beruhten die Beschwerden zu 90 % auf einer solchen Begehrenshaltung, was ausgereicht hat, um die Schadensersatzpflicht in vollem Umfang zu verneinen.
Diese Fragen kann das Gericht in der Regel nicht ohne besondere Sachkunde beantworten; vielmehr bedarf es der Hinzuziehung eines Gutachters mit Spezialausbildung und entsprechender Erfahrung. Für den haftungsrechtlichen Zusammenhang hat der Anwalt den Verletzten stets eingehend zu befragen und dann entsprechend vorzutragen. Dieser wichtige Hinweis stammt ...