1) Die Haftungsabwägung bei einem Abbiegen eines Kfz und einer Kollision mit einem sich rückwärts nähernden Straßenbahnzug Infolge einer Schwenkbewegung des Kfz ist Gegenstand der Entscheidung. Grundlage für die Haftungsabwägung unter Beteiligung der Straßenbahn ist über die Vermittlungsnorm des § 17 Abs. 4 StVG die in § 17 Abs. 1 und 2 StVG bestimmte Haftungsverteilung. Der in dieser Bestimmung enthaltene Begriff der Eisenbahn erfasst auch Straßenbahnen (vgl. OLG München VRS 31, 344; König, in: Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 17 StVG Rn 37), sodass unter Verdrängung des § 13 HaftpflG die Haftungsverteilung sich allein nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG richtet (vgl. BGH NZV 1994, 146; OLG Düsseldorf NZV 1992, 190; König, in: Hentschel/König/Dauer "Straßenverkehrsrecht", 45. Aufl., § 17 StVG Rdn 37). Geht es um Haftung oder Mithaftung des Betreibers der Straßenbahn, ist die Frage der Haftungsgrundlage in § 1 HaftpflG geregelt.
In der Regel wird der Entlastungsbeweis nach § 1 Abs. 2 HaftpflG sowie der der Unabwendbarkeit für den Fahrer der Straßenbahn nicht geführt werden können (vgl. §§ 1 Abs. 2, 13 Abs. 3 und 4 HaftpflG). Höhere Gewalt als Auslöser des Unfalls wird für den Fahrer der Straßenbahn nur selten vorliegen. Die Fälle, in denen höhere Gewalt als ursächlich oder mitursächlich angesehen worden ist, betrafen Auswirkungen von Naturereignissen (Stürme, Bergrutsche, Lawinen) oder außergewöhnliche menschliche Handlungen wie Selbsttötungen und Sabotageakte, damit für Straßenbahnunfälle nur seltene Begleitumstände (vgl. Greger/Zwickel, "Haftungsrecht des Straßenverkehrs", 5. Aufl., § 5 Rn 28, 29). Die in § 13 Abs. 3 HaftpflG aufgeführten Fälle der Unabwendbarkeit, die inhaltlich § 17 Abs. 3 StVG entsprechen, lassen die Seltenheit des Vorliegens eines unabwendbaren Sachverhalts als Unfallursache erkennen.
2) Bei der Kollision einer Straßenbahn mit einem Kfz kann ein Mitverschulden des Straßenbahnfahrers die ohnehin beträchtlich höhere Betriebsgefahr der Straßenbahn steigern. Der gegenüber Kfz längere Bremsweg, das hohe Gewicht und die wegen der Schienenbindung ausgeschlossene Ausweichmöglichkeit führen zu einer deutlich erhöhten Betriebsgefahr, was bei der Haftungsabwägung zu berücksichtigen ist (vgl. OLG Düsseldorf NZV 1994, 28; König, a.a.O., § 17 StVG Rn 6 und 43). Besser gestellt bei der Einräumung eines Vorrechtes gegenüber abbiegenden Kfz werden Schienenfahrzeuge durch § 9 Abs. 3 StVO, der ihnen gegenüber abbiegenden Fahrzeugen das Vorrecht einräumt. Für den Fahrer desentgegen kommenden Fahrzeugs hat das die in den Leitsätzen 2 und 3 ausgesprochenen Konsequenzen hinsichtlich der den Abbiegenden treffenden Verhaltenspflichten. Da der links abbiegende Bekl. nicht den gesamten Gleisbereich freigelassen hatte, sondern der Bahn nicht genügend Raum beim Passieren gelassen hatte, was verhinderte, dass das Gespann beim Abbiegevorgang mit der Straßenbahn kollidieren konnte, lag ein Verstoß des Fahrers des Gespanns gegen § 9 Abs. 3 StVO vor (vgl. auch BGH VersR 1974, 228; BGH DAR 1976, 271) Gleichzeitig war ein Verstoß des Fahrers des Gespanns aus den in Rdn 26 angeführten Gründen gegen § 9 Abs. 1 S. 4 StVO und wegen der unberechtigten Inanspruchnahme der Fahrspur der Straßenbahn nach § 2 Abs. 3 StVO gegeben.
3) Eine Mitverantwortung des Fahrers der Straßenbahn kann nicht mit der Begründung angenommen werden, er habe voraussehen können, bei Annäherung des Straßenbahnzuges bestehe die Gefahr, dass eine Schwenkbewegung des Gespanns zu einer Beschädigung des Straßenbahnzuges führen könne.
Schon das steht nicht fest, sodass mit dieser Begründung nicht angenommen werden kann, der Fahrer des Straßenbezuges sei vor dem Erreichen des Gespanns zur Vermeidung einer Kollision gehalten gewesen, den Straßenbahnwagen zum Halten zu bringen. Vielmehr durfte er aufgrund des zu seinen Gunsten geltenden Vertrauensgrundsatzes davon ausgehen, der mit den Maßen seines Gespanns vertraute Fahrer werde einen solchen Abstand von der Fahrspur der Straßenbahn wählen, dass deren Beschädigung beim Schwenkvorgang ausgeschlossen sei. Sein schützenswertes Vertrauen ging dahin, dass der andere Verkehrsteilnehmer ein Fahrverhalten zeigen werde, bei dem eine Schädigung ausgeschlossen sei (vgl. BGH NJW 1965, 1177; BGH NZV 1992, 108).
4) Bei der Haftungsabwägung im Rahmen des § 17 StVG konnte die die erhebliche Betriebsgefahr der Straßenbahn nur dann außer Betracht bleiben, wenn dem Fahrer des Gespanns eine in eklatanter Weise begangene Verletzung von verkehrsrechtlichen Kardinalspflichten vorgeworfen werden kann (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 13.4.2018 – 7 U 36/17, NJW-RR 2018, 1427, Rn 72) Zweifelhaft erscheint es schon, ob sich die hohe Betriebsgefahr der Straßenbahn unfallursächlich auswirkte (vgl. OLG Düsseldorf VRS 60, 401), da Auslöser der Beschädigung nur die Schwenkbewegung des Gespanns gewesen ist, ein Verwirklichtes Gefahrpotential der Straßenbahn nicht erkennbar war. Die Vielzahl der unfallursächlichen Verkehrsverstöße des Fahrers des Gespanns lässt es alle...