EGBGB Art. 46d; Art. 7 Abs. 2, Abs. 4b, Abs. 5, Abs. 6b; Art. 15; ROM-I-VO; Ar. 19 ROM-II-VO; ZPO § 293
Leitsatz
1. Zur Anwendung litauischen Rechts auf den Regressanspruch des litauischen Kfz-Haftpflichtversicherers eines in Litauen zugelassenen Kraftfahrzeugs gegen eine Fahrzeugführerin, die mit dem Fahrzeug in Deutschland unter Alkoholeinfluss einen Unfall verursacht hat.
2. Zur ermessensfehlerhaften Ermittlung ausländischen Rechts durch den deutschen Tatrichter.
BGH, Urt. v. 18.3.2020 – IV ZR 62/19
Sachverhalt
Die Kl., ein in Litauen ansässiger Haftpflichtversicherer, macht gegen die Bekl. als mitversicherte Fahrzeugführerin einen Regressanspruch nach einem Verkehrsunfall geltend. Die Bekl. fuhr in Berlin unter Alkoholeinfluss mit einem in Litauen zugelassenen Pkw, der bei der Kl. nach einem Versicherungsvertrag mit der in Litauen wohnhaften Fahrzeughalterin haftpflichtversichert ist, und kollidierte dort mit einem anderen Fahrzeug. Eine der Bekl. zwei Stunden nach dem Unfall entnommene Blutprobe wies eine mittlere Blutalkoholkonzentration von 1,91 ‰ auf. Die Kl. ließ den Schaden des Unfallgegners regulieren. Sie meint, die Bekl. sei verpflichtet, ihr den an den Unfallgegner geleisteten Schadensersatz sowie die entstandenen Abwicklungskosten in voller Höhe zu erstatten. Das ergebe sich aus dem litauischen Recht, das im Streitfall anzuwenden sei.
2 Aus den Gründen:
"… I. Das BG (…) hat (…) ausgeführt, der Kl. stehe ein Anspruch auf Ausgleich der von ihr aufgewandten Schadensersatzleistung gemäß Art. 22 Abs. 1 Nr. 1 des litauischen Gesetzes über die Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter (… KfZPflVG) zu. (…)
Art. 22 Abs. 1 Nr. 1 lit. KfZPflVG laute sinngemäß, dass ein VR, der Schadensersatz gezahlt habe, berechtigt sei, die Schadensersatzzahlungen von dem für den Schaden Verantwortlichen zurückzufordern, wenn letzterer das Fahrzeug unter Einfluss von Alkohol gefahren habe. Die Voraussetzungen des aus dieser Bestimmung folgenden Regressanspruches seien gegeben und inhaltlich nicht streitig.
Ein Verstoß gegen den “ordre public' liege nicht vor, auch wenn das litauische Recht für den Fahrer – anders als für den Halter – keine (abgestufte) Begrenzung des Rückgriffs kenne.
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
1. Allerdings hat das BG im Ergebnis zutreffend angenommen, dass die Berechtigung des von der Kl. erhobenen Anspruchs maßgeblich nach litauischem Recht zu beurteilen ist; soweit sie davon abhängt, ob und in welchem Umfang die Bekl. nach dem insofern gem. Art. 4 Abs. 1 Rom ll-VO anwendbaren deutschen Recht (vgl. EuGH VersR 2016, 797 Rn 51 ff. m.w.N.) ggü. dem Unfallgegner haftet, steht ihre Einstandspflicht (§ 18 Abs. 1 StVG, § 823 Abs. 1 BGB) außer Streit. Die Anwendbarkeit des litauischen Rechts auf das Schuldverhältnis zwischen der Kl. und der Bekl. ergibt sich aus Art. 46d EGBGB (vormals Art. 46c EGBGB), der in Ausübung der Ermächtigung in Art. 7 Abs. 4 Buchst. b) Rom l-VO erlassen worden ist.
a) Wie das BG zutreffend erkannt hat, ist im Hinblick auf das Schuldverhältnis zwischen den Parteien der Anwendungsbereich der Rom l-VO, die im Unterschied zur Rom ll-VO vertragliche Schuldverhältnisse betrifft (vgl. hierzu allgemein EuGH VersR 2016, 797 Rn 43 ff. m.w.N.), eröffnet. Dabei kann im Streitfall offenbleiben, ob Grundlage des von der Kl. erhobenen Anspruchs ein gesetzlicher Übergang der Forderung des Unfallgegners gegen die Bekl. oder eine originär eigene Forderung der Kl. ist.
Im ersten Fall folgt die Anwendbarkeit der Rom l-VO aus Art. 19 Rom II-VO, der in Abgrenzung zu Art. 15 Rom I-VO aufgrund des außervertraglichen Charakters der Forderung des Unfallgegners gegen die Bekl. einschlägig ist. Die Vorschrift sieht vor, dass das für die Schadensersatzpflicht des Dritten, d.h. des Haftpflichtversicherers, gegenüber dem Geschädigten maßgebende Recht regelt, ob und in welchem Umfang ein Eintritt in die Rechte dieses Geschädigten möglich ist (vgl. EuGH VersR 2016, 797 Rn 57); das von der Revision angeführte, das Verhältnis zwischen dem Unfallgegner und der Bekl. regelnde Recht (Recht des Schadensortes), ist insoweit nicht maßgeblich. Die genannte Verpflichtung der Kl. hat ihren Ursprung in dem zwischen ihr und der Fahrzeughalterin abgeschlossenen Versicherungsvertrag und ist deshalb als vertraglich im Sinne der Rom l-VO zu qualifizieren (vgl. EuGH a.a.O. Rn 54 ff.).
Nichts anderes ergibt sich im zweiten Fall. Zwar richtet sich ein originär eigener Regressanspruch des Rückgriffgläubigers nach verbreiteter Auffassung nicht nach Art. 19 Rom ll-VO (oder nach Art. 15 Rom I-VO), sondern nach dem Statut, welches das Verhältnis zwischen dem Rückgriffgläubiger und dem Rückgriffschuldner beherrscht (vgl. BeckOGK/Hübner, Rom ll-VO Art. 19 Rn 36 f. [Stand: 1.7.2019]; Kieninger in Ferrari/Kieninger/Mankowski u.a., Internationales Vertragsrecht 3. Aufl. Rom I-VO Art. 15 Rn 5; …). Aber das Rückgriffverhältnis zwischen der Kl. und der Bekl. ist – anders als die Revisionserwiderung meint – ebenfalls als vertraglich zu qualifizieren. Wie die...