Bis vor kurzem hatte es der Fachanwalt für Verkehrsrecht gut. Frei nach dem Motto "gefahren wird immer" war das Verkehrsrecht abgekoppelt von den wirtschaftlichen Entwicklungen und den gesellschaftlichen Spannungen. Die Arbeitslosenquote konnten beispielsweise steigen oder fallen. Im Gegensatz zum Arbeitsrecht veränderte sich hierdurch das Arbeitsaufkommen nicht.
Selbstverständlich unterlag das Verkehrsrecht auch Entwicklungen und Schwankungen. Die Unfallzahlen schwankten. Der Kampf um den ersten Kontakt zum Geschädigten war mal mehr mal weniger von Erfolg gekrönt. Die Kontrolldichte der Bußgeldbehörden nahm jedoch zu. Der Bußgeldkatalog wurde immer weiter verschärft. Das automatisierte Fahren, das durchaus zu einem erheblichen Umbruch führen dürfte, wurde erst hoch gehandelt. Inzwischen dürfte aber deutlich sein, das der Weg technisch und rechtlich weiter ist als gedacht und immer noch fraglich ist, ob wir Autofahrer auch wirklich alle automatisiert fahren wollen.
Nun erstmals – und wohl auch von dem größten Pessimisten nicht vorhergesagt – gibt es jedoch plötzlich nahezu keinen Straßenverkehr mehr. Mobile Verkehrskontrollen werden nahezu nicht mehr durchgeführt. Verkehrsunfälle sind zur Ausnahme geworden. Es mag sein, dass durch die Ausgangsbeschränkungen mehr Alkohol getrunken wird. Trunkenheitsfahrten gibt es faktisch nicht mehr. Fahrzeuge werden nicht mehr gehandelt.
Das Coronavirus, das zu Beginn des Jahres noch weit überwiegend auf die leichte Schulter genommen wurde, hat sich zu einer Pandemie entwickelt. Der Staat war "gezwungen" weitreichende Anordnungen und Maßnahmen zu ergreifen, wie sie die Bundesrepublik noch nie gesehen hat. Annahmen wie beispielsweise "das wird nicht passieren" bzw. "so weit wird es nicht kommen" haben mittlerweile noch nicht einmal mehr den Hauch einer Chance auf eine längere Bestandskraft.
Für die Kollegen, die sich ausschließlich im Verkehrsrecht bewegen, stehen plötzlich Fragen im Raum, die man sich nie vorgestellt hätte. Kann/muss ich auch für meine Kanzlei Kurzarbeit anordnen und Kurzarbeitergeld beantragen? Noch vor wenigen Monaten wäre eine solche Frage – bezogen auf eine Rechtsanwaltskanzlei – undenkbar gewesen.
Auch wenn sich sicherlich noch das ein oder andere Gericht mit der Frage zu beschäftigen haben wird, ob die weitreichenden Anordnungen und Maßnahmen des Staates mit dem Grundgesetz in Einklang zu bringen sind, kann man sich nur darüber freuen, dass die Bevölkerung weitestgehend den Anordnungen und Maßnahmen nachkommt; auch wenn dies – bis in unsere Branche hinein – zu erheblichen Auswirkungen führt. Es hilft aber der Blick nach vorne. (Auch) wir alle müssen unabhängig von der Frage der Auswirkungen auf die eigene Kanzlei alles daran setzen, die Pandemie schnellstmöglich "in den Griff" zu bekommen, um damit auch schnellstmöglich wieder zu einem normalen Leben zurückkehren zu können. Auch der Straßenverkehr wird Stück für Stück zurück kommen mit all den Vor- und Nachteilen, die dieser für alle beteiligten Seiten mit sich bringt.
Man hört immer wieder: Nach der Pandemie wird es nicht wieder so sein wie zuvor. Ich bin mir sicher: Bezogen auf den Umgang mit einer aufziehenden Pandemie nebst den erforderlichen Absicherungsmaßnahmen wird es tatsächlich (und auch hoffentlich) nach der Pandemie nicht mehr so sein wie zuvor, im Übrigen – insbesondere bezogen auf den sozialen Umgang untereinander – aber sehr wohl. Erstrebenswert ist es wohl kaum, in einer Welt zu leben, die weitestgehend auf enge soziale Kontakte verzichtet, und zu diesen sozialen Kontakten gehört nun mal auch der direkte persönliche Umgang; sei es im Rahmen von Mandantenbesprechungen von Angesicht zu Angesicht oder im Rahmen der Verhandlung vor Gericht. Dies können Telefon- oder Videokonferenzen nicht ersetzen.
Autor: Stefan Herbers
RA Stefan Herbers, FA für Verkehrsrecht, FA für Arbeitsrecht, Oldenburg
zfs 6/2020, S. 301