Das reformierte Versicherungsvertragsgesetz 2008 (VVG) hat sich in der Praxis bewährt. Auch die von einigen Richtern und Versicherern befürchtete Prozessflut wegen der Quotenbildung bei grober Fahrlässigkeit ist nicht eingetreten. Im Gegenteil, viele Versicherungsnehmer, denen grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen wurde, haben sich mit einer Quote einverstanden erklärt, während das nach altem Recht bestehende "Alles-oder-Nichts-Prinzip" auf wenig Verständnis gestoßen ist.
I. Obliegenheiten
Die Verletzung vertraglicher oder gesetzlicher Obliegenheiten führt bei Vorsatz zur vollständigen und bei grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung zur partiellen Leistungsfreiheit des Versicherers, wenn sich diese Obliegenheitsverletzung kausal auf den Eintritt des Versicherungsfalles ausgewirkt hat. Bei schuldloser oder fahrlässiger Obliegenheitsverletzung bleibt die Eintrittspflicht des Versicherers bestehen, bei Arglist entfällt das Kausalitätserfordernis.
Wenn der Versicherungsnehmer über zwei Jahre lang Nachfragen des Versicherers zu einem Kfz-Diebstahl nicht beantwortet, ist von einer Leistungsfreiheit wegen vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung auszugehen. Der Kausalitätsgegenbeweis ist nicht möglich, wenn auch die Fahrzeugschlüssel trotz Anfragen nicht übermittelt werden.
Untersuchungen der Fahrzeugschlüssel ermöglichen eine Prüfung der Angaben des Versicherungsnehmers zum Abstellen des Fahrzeugs am angeblichen Diebstahlort und zur Entwendung.
II. Arglistige Täuschung
Es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz, dass eine bewusst unrichtige Beantwortung einer vom Versicherer gestellten Frage immer und nur in der Absicht erfolgt, auf den Willen des Versicherers einzuwirken.
1. Bei objektiv falschen Angaben trägt der Versicherungsnehmer die sekundäre Beweislast für eine plausible Erklärung. Diese sekundäre Darlegungslast führt nicht zu einer Umkehr der Beweislast. Die Klägerin hatte im Antragsformular die Frage nach ambulanten Untersuchungen oder Behandlungen und stationären Behandlungen wahrheitswidrig verneint. Sie berief sich bei ihrer persönlichen Anhörung darauf, sie sei davon ausgegangen, die Versicherung werde bei den genannten Ärzten Auskünfte zum Gesundheitszustand einholen. Sie habe nur die Erkrankungen angegeben, die den behandelnden Ärzten nicht bekannt waren. Das OLG Jena hat in seiner Entscheidung vom 15.2.2018 diese Darstellung als schlüssig angesehen und eine arglistige Täuschung verneint, weil die Klägerin nicht bewusst auf die Entscheidung des Versicherers Einfluss nehmen wollte.
2. Wenn bei Abschluss einer Lebensversicherung Bagatellerkrankungen (Sodbrennen und Atembeschwerden in der Heuschnupfenzeit) verschwiegen werden, liegt keine Arglist vor. Das Gericht hat auch das Verschweigen einer Magenspiegelung nicht als relevant angesehen, da diese gerade keinen schwerwiegenden Befund geliefert habe.
3. Das arglistige Verhalten des Maklers ist dem Versicherungsnehmer zuzurechnen. Der Makler hatte in einem Antrag auf Abschluss einer Gebäudeversicherung das Baujahr des Hauses falsch angegeben, weil der Versicherer Zuleitungsrohre und Ableitungsrohre nur bis zu einem Alter von 40 Jahren versicherte. Der Versicherungsnehmer habe fahrlässig gehandelt, als er den vom Makler falsch ausgefüllten Antrag ungeprüft unterschrieb.
4. Der Gebäudeversicherer wird bei Vorlage fingierter Rechnungen nicht leistungsfrei, wenn er durch schuldhafte, unberechtigte Leistungsverweigerung gegen Vertragspflichten verstoßen hat. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Versicherer durch sein Verhalten beim Versicherungsnehmer eine wirtschaftliche Zwangslage herbeigeführt hat. Das OLG Saarbrücken geht von einer unzulässigen Rechtsausübung gemäß § 242 BGB aus, da zu berücksichtigen sei, dass die Versagung des gesamten Versicherungsschutzes den Versicherungsnehmer in seiner wirtschaftlichen Existenz bedrohen würde.
5. Ein Versicherungsnehmer handelt arglistig, wenn er den von seinem Vater ausgefüllten Versicherungsantrag blind unterschreibt, da er dann eine Erklärung "ins Blaue hinein" abgibt. Das OLG Hamm führt aus, dass Arglist kein betrügerisches Handeln voraussetzt. Es genüge vielmehr, wenn der Antragsteller mit seinen Angaben die Willensentschließung des Versicherers beeinflussen wolle. Der Vater hatte in dem Antrag seines Sohnes alle Fragen nach früheren Behandlungen und Erkrankungen verneint, obwohl bei seinem Sohn seit längerer Zeit eine Asthma-Erkrankung und aufgrund einer MRT-Untersuchung der Verdacht auf eine Krebserkrankung bestand; dies gilt ebenso, wenn die Tochter der Versicherungsnehmerin falsche Angaben macht.
6. Wenn der Ehemann der Versicherungsnehmerin den Versicherungsantrag im Beisein seiner Ehefrau und nach deren Angaben ausfüllt, ist der Versicherer bei vorsätzlich falschen Angaben zur Anfechtung berechtigt. Der Ehemann der Versicherungsnehmerin hatte für diese einen Antrag über eine "Hinterbliebenen-Absicherung" gestellt mit einer Versicherungssumme im Todesfall von EUR 170.000. Das OLG Saarbrücken führt aus, d...