VVG § 14 § 23 § 31
Leitsatz
1. Der Versicherer kann anlässlich eines Leistungsantrags vom Versicherungsnehmer auch Auskünfte verlangen, mit denen er die Voraussetzungen für eine Gefahrerhöhung oder Obliegenheitsverletzung in Erfahrung bringen will. Ein Anspruch auf Herausgabe sämtlicher über den Versicherungsnehmer geführter Behandlungsunterlagen hat er jedoch nicht.
2. Der Versicherungsnehmer ist für eine schuldhafte Verzögerung der Erhebungen zu einem Versicherungsfall seitens des Versicherers beweisbelastet; dem bloßen Zeitablauf kommt beweisrechtlich keine Bedeutung zu.
OLG Dresden, Urt. v. 21.1.2021 – 4 U 1656/19
Sachverhalt
Die Kl. macht gegenüber ihrem Kfz-Kaskoversicherer Leistungsansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 4.5.2015 ereignet hat. Die Kl. unterhielt für den Pkw VW bei der Bekl. eine Kasko-Versicherung. Die Kl. ist an multiple Sklerose erkrankt. Am 4.5.2015 befuhr die Kl. mit dem Pkw VW im Stadtgebiet von D die G-Straße in Richtung B-Straße, um anschließend nach links in die B-Straße abzubiegen. Hierbei fuhr sie mit dem Fahrzeug gegen fünf abgestellte Fahrzeuge. Anschließend kippte ihr Fahrzeug auf die Seite. Nach dem Unfall wurde die Kl. für zwei Tage zur stationären Beobachtung im Krankenhaus aufgenommen. An ihrem Fahrzeug entstand Totalschaden.
2 Aus den Gründen:
"… 1. Zu Recht hat das LG die Klage bezogen auf den Klageantrag zu Ziff. 1 als derzeit unbegründet abgewiesen."
Die von der Kl. verlangte Geldleistung aus dem Versicherungsvertrag ist nach wie vor nicht fällig (§ 14 VVG).
Gem. § 14 Abs. 1 VVG sind Geldleistungen fällig mit der Beendigung der zur Feststellung des Versicherungsfalles und des Umfangs der Leistungen des Versicherers notwendigen Erhebungen. Die notwendigen Erhebungen i.S.d. § 14 Abs. 1 VVG sind jedoch durch die Bekl. nicht abgeschlossen.
a) Zu den notwendigen Erhebungen zählt zunächst die Beschaffung derjenigen Unterlagen, die ein durchschnittlicher sorgfältiger VR des entsprechenden Versicherungszweigs benötigt, um den Versicherungsfall und den Umfang der von ihm zu erbringenden Leistungen zu prüfen und abschließend festzustellen (…). Im Zusammenhang mit der Prüfung des VR hat der VN jedoch seinerseits Mitwirkungsobliegenheiten, die in den Versicherungsbedingungen vereinbart sein können oder sich im Übrigen aus dem Gesetz (§ 31 Abs. 1 VVG) ergeben. Gem. § 31 Abs. 1 VVG kann der VR nach dem Eintritt des Versicherungsfalles verlangen, dass der VN jede Auskunft erteilt, die zur Feststellung des Versicherungsfalles oder des Umfangs der Leistungspflicht des VR erforderlich ist (Satz 1), und dass ihm insoweit Belege vorgelegt werden, als deren Beschaffung dem VN billigerweise zugemutet werden kann (Satz 2). Die nach dem Gesetz zwar sanktionslose, für den VN dennoch verbindliche Obliegenheit nach § 31 Abs. 1 VVG setzt ein Verlangen des VR voraus. Danach muss der VN dem VR, der sich ein klares Bild von seiner Leistungspflicht machen will, erst auf entsprechende Aufforderung hin weitere Kenntnisse verschaffen und Beweise erbringen (BGH zfs 2017, 212). In diesem Rahmen kommt dem VR grds. ein erheblicher Beurteilungsspielraum zu, welche Angaben er zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hält, um seine Entscheidung über die Leistungspflicht auf ausreichender und gesicherter Tatsachengrundlage treffen zu können. Insb. kommt es nicht darauf an, ob sich die geforderten Angaben nach dem Ergebnis der Prüfung tatsächlich als wesentlich erweisen, da die Frage der Erforderlichkeit ex ante zu beurteilen ist (…). Dabei hat der BGH in der vorgenannten Entscheidung den Ausgleich der insoweit widerstreitenden Interessen – einerseits das Interesse des VR bzw. der Gemeinschaft der Versicherten zur Vermeidung ungerechtfertigter Versicherungsleistungen alle Tatsachen zu erfahren, die unmittelbar oder auch erst nach der Ausübung von Gestaltungsrechten zu seiner Leistungsfreiheit führen können und andererseits das Interesse des VN, dass keine Daten erhoben werden, die dem VR über das erforderliche Maß hinaus in weitem Umfang sensible Informationen über den VN gewähren – dadurch hergestellt, dass der VN bei der Erhebung von Daten durch den VR grds. nur insoweit mitzuwirken hat, als diese zur Prüfung des Leistungsfalles relevant sind. Kann der Umfang der Datenerhebung nicht vornherein auf entsprechende Informationen beschränkt werden, weil dem VR noch unbekannt ist, worauf er sein Augenmerk zu richten hat, so erstreckt sich die Obliegenheit des VN zunächst auf die Einholung solcher weniger weitreichender und persönlichkeitsrelevanter Vorinformationen, die dem VR eine Konkretisierung ermöglichen, welche Informationen im Weiteren tatsächlich für die Leistungsprüfung von Bedeutung sind. Ist es dem VN allerdings unmöglich oder unzumutbar, die verlangten Informationen zu beschaffen, so sind die Erhebungen des VR als beendet anzusehen (vgl. Prölss/Martin, a.a.O., § 14 Rn 19).
Zudem ist zu berücksichtigen, dass nicht der vom VR tatsächlich benötigte Zeitaufwand zugrunde zulegen ist, sondern derjenige, der nach den Umständen o...