VVG § 81 § 125; ARB 2012 § 17
Leitsatz
1. Eine Deckungszusage kann nicht mit der Begründung abgelehnt werden, es sei unwahrscheinlich, dass erhebliche aber bestrittene Tatsachen vom VN mit von ihm benannten, grundsätzlich geeigneten Beweismitteln bewiesen werden können.
2. Die Haftung eines Wirtschaftsprüfers wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung setzt über die Unrichtigkeit der Bestätigungsvermerke voraus, dass sein Verhalten als rücksichts- und gewissenlos betrachtet werden kann.
3. Ein Schadensersatzanspruch gegen Vorstandsmitglieder einer AG kann auch bestehen, wenn ein Geschäftsmodell von vornherein auf Täuschung und Schädigung von Anteilserwerbern angelegt ist.
4. Es ist nicht mutwillig, wenn der Ausgang von anderen Prozessen mit vergleichbaren Streitgegenständen nicht abgewartet wird.
5. Ein zur Schadenminderung eingesetztes Weisungsrecht des Rechtsschutzversicherers ist vor allem dann problematisch, wenn mit der Weisung in die Prozessführung durch den Rechtsanwalt des VN eingegriffen wird.
(Leitsätze der Schriftleitung)
OLG Karlsruhe, Urt. v. 7.4.2022 – 12 U 285/21
Sachverhalt
Die Parteien sind durch einen Rechtsschutzversicherungsvertrag miteinander verbunden, aus dem der Kl. die Bekl. auf Deckung wegen des Erwerbs von Aktien der Wirecard AG in Anspruch nimmt.
Dem Vertrag liegen … ARB zugrunde, die den XRB 2012 entsprechen.
Am 12.5.2020 erwarb der Kl. 100 Aktien der Wirecard AG zu einem Kaufpreis von je 87,25 EUR, insgesamt für 8.724,90 EUR. Mit Anwaltsschreiben vom 29.7.2020 forderte der Kl. die Bekl. auf, Deckungszusage für die außergerichtliche und gerichtliche Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen die Vorstände Dr. B. und M. sowie gegen die E. GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zu erteilen. Die Bekl. lehnte dies mangels Erfolgsaussicht und wegen Mutwilligkeit ab.
Sie hat vorgetragen, der Kl. habe zunächst die bereits anhängigen übrigen Verfahren gegen die drei Anspruchsgegner in gleicher Sache abzuwarten. Eine außergerichtliche Interessenwahrnehmung gegenüber den drei Anspruchsgegnern sei mutwillig. Bei einer Verurteilung der Anspruchsgegner reiche das Vermögen dieser nicht zur Befriedigung aller Anleger aus.
2 Aus den Gründen:
Die Bekl. ist verpflichtet, der Kl. für die beabsichtigte außergerichtliche und gerichtliche Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen Deckung zu gewähren (§ 125 VVG).
1. Die Bekl. kann sich weder auf das Fehlen einer hinreichenden Erfolgsaussicht noch auf Mutwilligkeit berufen (§ 3a (1) ARB).
a) Das beabsichtigte Vorgehen gegen die drei Anspruchsgegner hat hinreichende Aussicht auf Erfolg.
aa) In § 3a (1) ARB bringt der VR zum Ausdruck, dass er Versicherungsschutz unter den sachlichen Voraussetzungen gewährt, unter denen eine Partei Prozesskostenhilfe gemäß § 114 ZPO beanspruchen kann (…). Daher dürfen an die Voraussetzung der hinreichenden Erfolgsaussicht keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Sie ist schon dann erfüllt, wenn der von einem Kl. vertretene Rechtsstandpunkt aufgrund seiner Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen zutreffend oder zumindest vertretbar erscheint und in tatsächlicher Hinsicht die Möglichkeit einer Beweisführung besteht (BGH NJW 1988. 266; Schmitt in Harbauer, Rechtsschutzversicherung, 9. Aufl. § 3a ARB 2010 Rn 17).
Dagegen kann eine Kostendeckungszusage nicht mit der Begründung abgelehnt werden, es sei unwahrscheinlich, dass erhebliche, aber bestrittene Tatsachen vom VN mit den von ihm benannten, grundsätzlich geeigneten Beweismitteln bewiesen werden können (…). Ausreichend ist eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Erfolgs der Prozessführung. Im Zweifel ist zugunsten des VN zu entscheiden (HK-VVG/Münkel, 4. Aufl. § 3a ARB 2010 Rn 5; Herdter in Looschelders/Paffenholz, ARB, 2. Aufl. § 3a ARB 2010 Rn 17; van Bühren in van Bühren/Plote, ARB, 3. Aufl. § 3a ARB Rn 9). Wenn die Entscheidung von der Beantwortung schwieriger Rechts- oder Tatfragen abhängig, hat die beabsichtigte Rechtsverfolgung in der Regel schon deshalb hinreichende Aussicht auf Erfolg (BGH NJW-RR 2007, 908).
bb) Nach diesen Maßstäben liegt hinreichende Erfolgsaussicht für das geplante Vorgehen gegen die Vorstände Dr. B. und M. und gegen E. vor, welches der Kl. jeweils u.a. auf § 826 BGB stützt.
(1) Hinreichende Erfolgsaussicht besteht zunächst für das beabsichtigte Vorgehen gegen die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft E. wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung im Sinne von § 826 BGB.
(a) Ein Verhalten ist sittenwidrig, wenn es nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (BGH NJW 2020, 1962). Hierfür reicht eine Pflichtverletzung nicht aus. Es müssen besondere Umstände hinzutreten, die das schädigende Verhalten wegen seines Zwecks oder wegen des angewandten Mittels oder mit Rücksicht auf die dabei gezeigte Gesinnung nach den Maßstäben der allgemeinen Geschäftsmoral und des als "anständig" Geltenden verwerflich machen (…). Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen komm...