Zitat
I. Der Antragsteller wendet sich gegen die für sofort vollziehbar erklärte Entziehung der ihm im Jahr 2019 erteilten Fahrerlaubnis (u.a. der Klasse B).
Am 7.12.2019 gegen 23.50 Uhr führte der Antragsteller mit einem Blutalkoholgehalt von mindestens 1,94 ‰ einen Pkw im öffentlichen Straßenverkehr. Nach dem Protokoll der ärztlichen Untersuchung wies er am Folgetag gegen 0.20 Uhr keine Ausfallerscheinungen auf und "scheine" nur "leicht beeinflusst zu sein".
Am 18.12.2019 und 4.2.2020 ließ sich der Antragsteller bei der Diakonie – Fachambulanz Sucht – beraten.
Wegen der Tat vom 7.12.2019 verurteilte das AG Lingen (Jugendrichter) den Antragsteller durch rechtskräftiges Urt. v. 23.3.2021 nach Jugendstrafrecht zur Zahlung einer Geldauflage in Höhe von 600 EUR und sah von der Entziehung der Fahrerlaubnis ab. Unter "Rechtsfolgen" wird dazu in dem Urteil u.a. ausgeführt:
"Weiterhin wirkt sich zu seinen Gunsten aus, dass er bereits bei der Diakonie war und zur Vorbereitung auf eine mögliche medizinisch-psychologische Untersuchung an acht Gruppensitzungen teilgenommen hat …"
Von einer Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 Abs. 1, Abs. 2 StGB hat das Gericht abgesehen, da sich der Angeklagte jedenfalls jetzt nicht mehr als charakterlich unzuverlässig und damit ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Zwar ist bei der vom Angeklagten begangenen Straftat gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB in der Regel von einer Ungeeignetheit auszugehen, aufgrund des Zeitablaufs, der Teilnahme des Angeklagten an den Veranstaltungen der Diakonie sowie des Eindrucks des Verfahrens auf ihn und der Dauer der vorläufigen Fahrerlaubnisentziehung geht das Gericht davon aus, dass er derzeit nicht mehr ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist.
Nachdem der Antragsgegner von dem vorgenannten Sachverhalt Kenntnis erlangt hatte, gab er dem Antragsteller mit Schreiben vom 25.5.2021 gestützt auf § 2a Abs. 2 Nr. 1 StVG (i.V.m. § 36 FeV) auf, an einem besonderen Aufbauseminar teilzunehmen. Zusätzlich forderte er den Antragsteller mit Schreiben vom 12.8.2021 (unter Berufung auf §§ 13 S. 1 Nr. 2 Buchst. c), 46 Abs. 3 FeV, vgl. ergänzend § 2a Abs. 4 S. 1 StVG) auf, das (medizinisch-psychologische) Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung beizubringen; dadurch sollten die Fragen geklärt werden, ob zu erwarten sei, dass der Antragsteller zukünftig ein (Kraft-)Fahrzeug unter einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholeinfluss führen werde, und/oder ob im Zusammenhang mit dem früheren Alkoholkonsum Beeinträchtigungen vorlägen, die das sichere Führen eines Kraftfahrzeugs der Gruppe 1 (FE-Klasse AM+B+L) in Frage stellten.
Der Antragsteller legte dem Antragsgegner sodann eine Bescheinigung des TÜV-Nord über die Teilnahme an einem besonderen Aufbauseminar i.S.d. § 36 FeV vor, lehnte aber die Begutachtung mit der Begründung ab, der Strafrichter habe in dem o.a. Urt. v. 23.3.2021 seine Kraftfahreignung, d.h. die des Antragstellers, bejaht und hieran sei der Antragsgegner gemäß § 3 Abs. 4 StVG gebunden.
Daraufhin entzog der Antragsgegner dem Antragsteller mit dem hier streitigen Bescheid vom 10.11.2021 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Fahrerlaubnis. Dagegen hat der Antragsteller am 15.11.2021 Klage erhoben und gleichzeitig die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragt. Diesen Antrag hat das VG Osnabrück mit seinem Beschl. vom 23.2.2022 abgelehnt. Soweit im Beschwerdeverfahren noch von Bedeutung, hat es zur Begründung ausgeführt:
… war der Antragsgegner angesichts der erheblichen Alkoholisierung des Antragstellers zur Tatzeit auch fast zwei Jahre nach der Tat gemäß § 13 S. 1 Nr. 2c) FeV nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen, um die Frage der derzeitigen Fahreignung des Antragstellers, insbesondere seines nunmehr ggf. vorhandenen hinreichenden Trennungsvermögens, zu klären.
Dabei war er – anders als der Antragsteller meint – nicht an eine vermeintliche Eignungsbeurteilung des AG Lingen im Urt. v. 23.3.2021 gebunden. Gemäß § 3 Abs. 4 S. 1 StVG darf die Fahrerlaubnisbehörde, wenn sie in einem Entziehungsverfahren einen Sachverhalt berücksichtigen will, der bereits Gegenstand der Urteilsfindung in einem Strafverfahren gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis gewesen ist, zwar zu dessen Nachteil vom Inhalt des Urteils nicht insoweit abweichen, als es sich auf die Feststellung des Sachverhalts oder die Beurteilung der Schuldfrage oder die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bezieht. Hiermit soll die sowohl dem Strafrichter (vgl. § 69 StGB) als auch der Verwaltungsbehörde (vgl. § 3 Abs. 1 StVG) eingeräumte Befugnis, bei fehlender Kraftfahreignung die Fahrerlaubnis zu entziehen, so aufeinander abgestimmt werden, dass Doppelprüfungen unterbleiben und die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen ausgeräumt wird. Eine Bindung der Fahrerlaubnisbehörde in diesem Sinne – und zwar nicht nur hinsichtlich der Maßnahme der Entziehung selbst, sonde...