Der Kaskoversicherer beauftragt regelmäßig eigene oder mit ihm verbundene Sachverständige mit der Begutachtung oder eine Partnerwerkstatt mit der Kalkulation eines Kostenvoranschlages nach seinen Vorgaben. Der VN hat zwar die Möglichkeit, einen Kostenvoranschlag einer anderen Werkstatt einzuholen, was aber in der Regel vom VR nicht akzeptiert wird. Nur ausnahmsweise steht das Gutachten eines unabhängigen Sachverständigen zur Verfügung, wenn der VN seinen Kaskoversicherer wegen einer (Mit-)Haftung bei einem Haftpflichtschaden in Anspruch nimmt.[35] Für die fiktive Abrechnung ist der VN auf die Kenntnis und Richtigkeit des vom VR in Auftrag gegebenen Gutachtens oder Kostenvoranschlags angewiesen.

[35] Die Sachverständigenkosten fallen dann unter das Quotenvorrecht und müssen bis zur Obergrenze des Gesamtschadens vollständig erstattet werden, BGH, NJW 1982, 829; VersR 1985, 441.

1. Herausgabe der Schadenunterlagen

Das vom VR eingeholte Gutachten wird häufig ohne Aufforderung nicht übersandt oder die Herausgabe ganz verweigert, obwohl auch hier eine entsprechende Obliegenheit des VR besteht. Ob diese Pflicht zur Herausgabe[36] auf Treu und Glauben auf § 242 BGB als Rechtsgrundlage gestützt wird, ein Informations- oder Einsichtsrecht aus § 3 Abs. 4 VVG oder analog § 202 VVG besteht, als vertragliche Nebenpflicht des Versicherungsvertrages aus § 241 Abs. 2 BGB oder § 280 BGB hergeleitet oder ein Herausgabeanspruch nach § 810 BGB besteht, kann letztendlich dahingestellt bleiben, weil von Ausnahmen abgesehen, überhaupt kein berechtigtes Interesse des VR an einer Geheimhaltung der Schadenunterlagen zu erkennen ist. Eine Ausnahme kann allenfalls dann angenommen werden, wenn der VN selbst unredlich ist oder ihm eine Obliegenheitsverletzung zur Last gelegt wird, die zur vollständigen Leistungsfreiheit des VR führt und deshalb das Herausgabeverlangen rechtsmissbräuchlich wäre.[37] Ansonsten bleibt es bei der versicherungsvertraglichen Obliegenheit, die Schadenunterlagen dem VN unverzüglich und vollständig zur Verfügung zu stellen. Die Frage nach der Rechtsgrundlage dürfte zukünftig keine große Rolle mehr spielen, weil ein Gutachten oder Kostenvoranschlag personenbezogene Daten (Adresse, Kennzeichen, FIN, Laufleistung u.a.) enthält. Der VN kann im Rahmen der gebotenen weiten Auslegung[38] des Begriffs der personenbezogenen Daten seinen Anspruch auf Auskunft und einer Kopie der Schadenunterlagen auch unmittelbar auf Art. 15 Abs. 1, Abs. 3 DSGVO stützen.

[36] Vgl. umfassend hierzu Armbrüster, VersR 2013, 944 ff.
[37] So im Falle des OLG Schleswig, zfs 2020, 695, bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem Blutalkoholwert von 2,32 Promille.

2. Richtigkeit der Feststellungen

Die zur Abrechnung des Kaskoschadens in Auftrag gegebenen Gutachten und Kostenvoranschläge sind häufig falsch und zur fiktiven Abrechnung nicht geeignet, weil dort in der Regel die Stundenverrechnungssätze von Partnerwerkstätten zugrunde gelegt werden, auch wenn im Versicherungsvertrag keine Werkstattbindung vereinbart wurde. Beim Wiederbeschaffungswert wird der Umsatzsteueranteil nicht ausgewiesen oder in voller Höhe abgezogen und beim Restwert, unabhängig von der Art der Abrechnung, der regionale Markt nicht berücksichtigt. Der VR muss dabei auch hier Rücksicht auf das Recht des VN nehmen, den Schaden fiktiv abzurechnen und bei der Beauftragung des Sachverständigen oder der Partnerwerkstatt sicherstellen, dass die Vorgaben des BGH berücksichtigt werden. Für die Richtigkeit hat nicht nur der beauftragte Sachverständige oder die Partnerwerkstatt einzustehen, sondern auch der VR, der sich ansonsten unter Umständen schadensersatzpflichtig machen kann, wenn die Kalkulation nach seinen falschen Anweisungen erfolgt. Der VN hat vorher keine Möglichkeiten, den VR klageweise zur Einholung eines richtigen Gutachtens zu verpflichten und kann nur die Höhe der Reparaturkosten durch die Einholung eines eigenen Kostenvoranschlages überprüfen. Dabei fehlen im Kostenvoranschlag für die fiktive Abrechnung des Schadens wichtige Daten für die hierfür anzustellende Vergleichsbetrachtung (Wiederbeschaffungswert und regionaler Restwert). Der VR hat deshalb auch hier die Obliegenheit, den Sachverständigen oder die Partnerwerkstatt mit der Erstellung einer richtigen Kalkulation unter Berücksichtigung der Rechtslage anzuweisen.

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