Wenn es im Haftpflichtschadensfall mal wieder länger dauert und die Haftung durch den zuständigen Haftpflichtversicherer nicht bestätigt wird, steigt der Druck von allen Seiten an. Der Geschädigte wünscht eine zeitnahe Reparatur, gegebenenfalls ist das beschädigte Fahrzeug noch nicht einmal verkehrstauglich und es ist zu erwarten, dass hohe Mietwagenkosten entstehen oder mit verlängerten Nutzungsausfallzeiten zu rechnen ist.
Sehr oft wird dem Geschädigten dann nach erfolgter Reparatur durch den Versicherer vorgeworfen, dass durch eine Inanspruchnahme einer etwaigen Vollkaskoversicherung längere Ausfallzeiten hätten vermieden werden können.
"Erforderlichkeit" (§ 249 Abs. 2 S. 1 BGB) versus "Schadenminderungspflicht" (§ 254 Abs. 2 S. 1 BGB) ist erneut nach dem. o.g. Urteil des BGH die wesentliche Stellschraube.
Die "Erforderlichkeit" zielt darauf ab, was der Geschädigte von sich aus tun darf. Die Schadenminderungspflicht hingegen bezieht sich zum Teil ebenfalls auf direkte Pflichten des Geschädigten.
Nach dem grundlegenden Prinzip des Schadenersatzrechts muss der Schädiger den Schaden beseitigen, § 249 Abs. 1 BGB. Er muss also reparieren oder reparieren lassen, was er beschädigt hat. Er muss ein Ersatzfahrzeug zur Verfügung stellen. Er muss alles tun, damit der Schaden beseitigt wird. Nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB darf der Geschädigte entscheiden, dass sich der Schädiger aus der Schadenbeseitigung herauszuhalten hat, der Geschädigte selbst ist "Herr des Restitutionsgeschehens". Der BGH macht immer wieder deutlich, wie groß die Bedeutung der Ersetzungsbefugnis ist. Er spricht völlig richtig von einer "gesetzgeberischen Grundentscheidung", die für die Gerichte jedenfalls dann unantastbar ist, wenn es um das Eigentum des Geschädigten geht.
Das Recht des Geschädigten, "die Behebung des Schadens gerade unabhängig vom Schädiger in die eigenen Hände zu nehmen und in eigener Regie durchzuführen" hat der BGH im Jahr 2019 in seinem Urteil vom 25.06.2019 (Az. VI ZR 358/18, Rz. 14) mit dem Hinweis auf den Punkt gebracht:
"Der Gesetzgeber hat dem Geschädigten in § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB die Möglichkeit eingeräumt, die Behebung des Schadens gerade unabhängig vom Schädiger in die eigenen Hände zu nehmen und in eigener Regie durchzuführen. Diese gesetzgeberische Grundentscheidung würde unterlaufen, sähe man den Geschädigten schadensrechtlich grundsätzlich für verpflichtet an, vor der von ihm beabsichtigten Schadensbehebung Alternativvorschläge des Schädigers einzuholen und diesen dann gegebenenfalls zu folgen."
Diese Grundprinzipien sind auf den Fall einer bestehenden Vollkaskoversicherung zu übertragen. Das begründet der BGH damit, dass die private Vorsorge, sich mit selbst eingesetztem Geld einen Vollkaskoschutz zu erkaufen, nicht das Ziel habe, einen Schädiger zu entlasten. Und er ergänzt, dass der Geschädigte bei der dann folgenden Abrechnung mit dem Haftpflichtversicherer regelmäßig große Schwierigkeiten habe, den Verlust an Schadenfreiheitsrabatt in der Vollkaskoversicherung wieder einzutreiben. Private Vorsorge – und nichts anderes ist eine Vollkaskoversicherung – hat niemals das Ziel, den Schädiger zu entlasten.
"Andernfalls würde die ihm nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB zustehende Ersetzungsbefugnis unterlaufen, die ihm die Möglichkeit der Schadensbehebung in eigener Regie eröffnet." (BGH, Urteil vom 20.10.2009, Az. VI ZR 53/09, Rz. 13).