ZPO § 286; StVG § 7 Abs. 1 § 17 Abs. 1 § 18; StVO § 5 Abs. 3 Nr. 1 § 9 Abs. 1
Leitsatz
1. Eine schriftliche Einlassung am Unfallort mit detaillierten Ausführungen zum Unfallhergang, aufgrund welcher der Erklärungsempfänger auf die Hinzuziehung der Polizei verzichtet, führt im Rahmen der Beweiswürdigung regelmäßig dazu, dass das Gericht die darin anerkannten Tatsachen seiner Entscheidung zugrunde legen kann, wenn dem Erklärenden der Nachweis der Unrichtigkeit seiner Erklärung nicht gelingt.
2. In der Entscheidung eines Fahrers, den Linksabbiegevorgang zu beginnen, obwohl er für die Einleitung eines technisch ordnungsgemäßen Abbiegevorgangs noch einige Meter hätte weiterfahren können, ist grundsätzlich kein verkehrsrechtlich relevanter Verstoß zu sehen, der im Verhältnis zum überholenden Verkehrsteilnehmer im gleichgerichteten Verkehr in die Abwägung der Verursachungsbeiträge einzustellen ist.
OLG Nürnberg, Urt. v. 29.3.2022 – 3 U 4188/21
Sachverhalt
[1] A. Ausweislich des unstreitigen Tatbestands des erstinstanzlichen Urteils ist folgender Sachverhalt zwischen den Parteien unstreitig:
[2] Die Klägerin ist Eigentümerin des LKWs Arocs L-FHS, amtliches Kennzeichen […]. Am 17.10.2018 gegen 14:40 Uhr fuhr der Zeuge H. mit dem klägerischen Fahrzeug und dem daran angeschlossenen Auflieger, amtliches Kennzeichen […], auf der Ortsverbindungsstraße St 2384 zwischen Polsingen und Ursheim (Frankenstraße) in Richtung Ursheim. Der Zeuge H. wollte in die auf die Ortsverbindungsstraße einmündende Abfahrt nach Trendel einfahren. Diese Abfahrt mündet in die gegenüberliegende Fahrbahnhälfte ein. Als er den Abbiegevorgang begann, wurde er von dem aus rückwärtigen Verkehr kommenden Pkw, amtliches Kennzeichen […], welches vom Beklagten zu 1) gesteuert wurde, überholt. In der Folge kam es zu einem Zusammenstoß des Beklagtenfahrzeugs mit dem vorderen linken Fahrzeugeck des klägerischen Gespanns. Der Pkw des Beklagten zu 1) ist bei der Beklagten zu 2) pflichtversichert.
[3] Unstreitig ist darüber hinaus, dass der Beklagte zu 1) am Unfalltag den in Anlage K 1 enthaltenen handschriftlichen Unfallbericht fertigte, den er, der Zeuge H. und die Mitfahrerin des Beklagten zu 1) unterschrieben.
[4] Das Landgericht Ansbach hat den Beklagten zu 1) informatorisch angehört sowie Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung des Zeugen H., Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Sachverständigen R. vom 27.1.2021 und mündliche Erläuterung des Gutachtens.
[5] Am 25.10.2021 hat das Landgericht Ansbach das nachfolgende Endurteil erlassen:
[6] 1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 1.824,17 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 27.2.2019 sowie weitere 875,00 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 7.5.2020 zu zahlen.
[7] 2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner weiter verurteilt, die Klägerin von angefallenen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 402,60 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz seit 7.5.2020 freizustellen.
[8] Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass die Haftungsabwägung gemäß § 17 Abs. 2 StVG im vorliegenden Fall eine Haftungsquote von jeweils 50 % ergebe.
[9] Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin in ihrer Berufung. Sie beantragt:
[10] 1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin weitere 4.829,16 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit dem 27.2.2019 sowie weitere 875,00 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit dem 7.5.2020 zu bezahlen.
[11] 2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner weiter verurteilt, die Klägerin von angefallenen vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten i.H.v. 402,60 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über den jeweils geltenden Basiszinssatz seit dem 7.5.2020 freizustellen.
[12] Die Beklagten beantragen die Zurückweisung der Berufung.
[13] Wegen des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
2 Aus den Gründen:
[14] B. Die zulässige Berufung hat teilweise Erfolg. Die Klägerin hat gegen die Beklagten als Gesamtschuldner gemäß den §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, 18 StVG, § 115 VVG auf der Grundlage einer Haftungsverteilung von 15 % zu 85 % einen Anspruch auf Ersatz des ihr durch den Unfall entstandenen Schadens in Höhe von weiteren 3.989,41 EUR sowie Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von weiteren 342,80 EUR.
[15] I. Das Landgericht kam zutreffend zu dem Ergebnis, dass für keine der Parteien die Ersatzpflicht gemäß § 17 Abs. 3 StVG ausgeschlossen ist, da der streitgegenständliche Verkehrsunfall für keinen Beteiligten ein unabwendbares Ereignis darstellte. Einwände dagegen bringt die Berufung nicht vor.
[16] II. Das Erstgericht kam in Abwägung der Verursachungsbeiträge gemäß § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG zu einer Haftungsquote in Höhe von jeweils 50 %. Dies kann jedoch nach Maßgabe der bindenden ...