Einige Gerichte neigen viel zu voreilig zu der Annahme von Vorsatz. Ein erstes Indiz, das für Vorsatz sprechen könnte, ist grundsätzlich nur ein Anlass zur Weiterermittlung, ob die Geschwindigkeitsübertretung fahrlässig oder ausnahmsweise vorsätzlich erfolgte, kein Grundsatz, den der Betroffene widerlegen müsste. Auch im Rahmen der freien Beweiswürdigung wird ein Indiz für sich allein grundsätzlich nicht genügen, um eine Vorsatzverurteilung zu begründen. Mehrere und erhebliche Indizien lassen es allerdings zu, von einer vorsätzlichen Begehung auszugehen.[42]
Mit der zunehmenden Nutzungsmöglichkeit von Assistenzsystemen wird sich die Unterscheidung von fahrlässiger oder vorsätzlicher Tatbegehung verändern. Assistenzsysteme, die auf Geschwindigkeitsüberschreitungen oder auch andere Verstöße hinweisen, haben die Aufgabe, vor Fahrlässigkeit zu bewahren.[43] Es ist deshalb denkbar, dass sich die Prüfung hinsichtlich eines möglichen Vorsatzes zukünftig immer mehr darauf verlagert, warum ein Assistenzsystem nicht funktionierte oder eingeschaltet war. Wenn es funktionierte und eingeschaltet war, könnte bei Verstößen eher als bisher von einer vorsätzlichen Begehung ausgegangen werden.
Das Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht behandelt einen Pufferbereich zwischen erlaubtem und nach den Strafgesetzen strafbarem Handeln. Innerhalb dieses Pufferbereichs liegt die vorsätzliche Begehung von Taten, die grundsätzlich fahrlässig begangen werden, somit zwischen der fahrlässigen Ordnungswidrigkeit und der Straftat. Das verlangt, klarere Abgrenzungsgrundsätze zu schaffen und einer nicht hinnehmbar uneinheitlich gewordenen Rechtsprechungspraxis entgegenzuwirken.
Autor: Rechtsanwalt Dr. Hermann Junghans, Fachanwalt für Verkehrsrecht, Lübeck
zfs 6/2023, S. 304 - 313
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