StrEG § 8 Abs. 3 S. 1
Leitsatz
1. Hat eine Strafkammer in der Hauptverhandlung bereits über die Art und Dauer (derselben) Strafverfolgungsmaßnahme entschieden, bleibt für die Nachholung einer Entschädigungsentscheidung kein Raum mehr; im Zweifel ist anzunehmen, dass es sich um eine abschließende Entscheidung hinsichtlich der Entschädigung handelt.
2. Der Wortlaut des § 8 Abs. 3 S. 1 StrEG differenziert nicht danach, ob die Entscheidung nach Art der Strafverfolgungsmaßnahme oder ihrer Dauer unvollständig ist. Der Gesetzgeber hat keine Sonderregelung für den Fall unterbliebener Entschädigungen ausgestaltet, sodass sich das Rechtsmittel ausschließlich nach § 8 Abs. 3 S. 1 StrEG richtet.
OLG Hamm, Beschl. v. 14.2.2023 – 5 Ws 11/23
1 Sachverhalt
Im Rahmen des gegen den früheren Angeklagten geführten Ermittlungsverfahrens wegen Trunkenheit im Verkehr wurde sein Führerschein am 20.6.2021 polizeilich beschlagnahmt. Mit Beschl. v. 16.7.2021 entzog das AG dem früheren Angeklagten vorläufig die Fahrerlaubnis. In der Berufungshauptverhandlung am 18.3.2022 sprach ihn das LG vom angeklagten Vorwurf der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr frei und beschloss, dass die Staatskasse verpflichtet sei, ihm für die erlittene Verfolgungsmaßnahme der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis für den Zeitraum vom 16.7.21 bis 18.3.022 eine Entschädigung zu gewähren.
Danach beantragte die StA, festzustellen, dass dem Angeklagten (außerdem) dem Grunde nach eine Entschädigung für die Sicherstellung des Führerscheins für den Zeitraum bis zum 16.07.21 zustehe. Die Strafkammer lehnte den Antrag unter Hinweis darauf, dass der Entschädigungsausspruch in Rechtskraft erwachsen sei, ab. Das OLG Hamm hat die sofortige Beschwerde der StA als unbegründet verworfen.
2 Aus den Gründen:
[…] II. Die sofortige Beschwerde gegen den angefochtenen Beschluss ist unbegründet, da der Antrag auf Ergänzung der Entschädigungsentscheidung im Beschlussverfahren unzulässig ist.
1) Zwar ist grundsätzlich eine Entscheidung über die Entschädigungspflicht im isolierten Beschlussverfahren auch außerhalb der Hauptverhandlung statthaft (§ 8 Abs. 1 S. 2 StrEG). Dem Antrag auf Feststellung der weiteren Entschädigung in der Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 12.8.2022 steht indes entgegen, dass die Entschädigungsentscheidung in dem Urteil der Strafkammer vom 18.3.2022 – mangels rechtzeitig eingelegter sofortiger Beschwerde – in Rechtskraft erwachsen ist, so dass für die Durchführung eines isolierten Beschlussverfahrens kein Raum mehr bleibt.
2) In der Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, mit welchem Procedere im Falle einer (versehentlich) unvollständigen oder unterbliebenen Grundentscheidung über die Entschädigung vorgegangen werden kann.
a) Die (wohl) als herrschend angesehene Ansicht wendet § 8 Abs. 1 S. 2 StrEG auf diese Fallkonstellationen an, sodass der Entschädigungsberechtigte eine Nachholung bzw. Ergänzung der Entscheidung beantragen kann ohne hierbei einer Fristbindung zu unterliegen. Begründet wird diese Ansicht unter anderem damit, dass in dem Schweigen im Urteil keine Versagung der Entschädigung liege (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 8 StrEG, Rn 7; OLG Düsseldorf NJW 1999, 2830; OLG Stuttgart NStZ 2001, 496; OLG München NJW 1977, 2090). Das Unterlassen der gebotenen Entscheidung über die Verpflichtung zur Entschädigung sei demzufolge grundsätzlich nicht mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar (vgl. OLG Nürnberg NJW 2006, 1826; Ausnahme nur bei entsprechender Rechtsmittelbelehrung).
b) Nach anderer Ansicht richtet sich das Rechtsmittel ausschließlich nach § 8 Abs. 3 S. 1 StrEG. Diese Ansicht wird unter anderem damit begründet, dass der Gesetzgeber die Grundentscheidung durch Urteil als Regelfall und das isolierte Entschädigungsverfahren ausdrücklich als Ausnahme ausgestaltet habe (vgl. KG NStZ 2010, 284; OLG München AnwBl 1998, 50; offen gelassen: OLG Hamm, Beschl. v. 18.6.2013 – 2 Ws 158/13, BeckRS 2013, 11608).
c) Eine vermittelnde Ansicht lässt in diesen Fällen neben der sofortigen Beschwerde auch die Nachholung der (teilweise) unterbliebenen Entscheidung durch Beschluss zu (vgl. MüKo StPO/Kunz, StrEG § 8 Rn 28).
3) Der Senat sieht bei der hier vorliegenden Fallkonstellation, bei der die Strafkammer in der Hauptverhandlung bereits über die Art und Dauer derselben Strafverfolgungsmaßnahme entschieden hat, für die Nachholung einer Entscheidung betreffend den Zeitraum vom 20.6.2021 bis 15.7.2021 keinen Raum mehr.
a) Zunächst spricht für die Ansicht, die im Falle der (teilweise) unterbliebenen Entscheidung die sofortige Beschwerde als einschlägigen Rechtsbehelf erachtet, der Wortlaut von § 8 Abs. 3 S. 1 StrEG, der nicht danach differenziert, ob die Entscheidung nach Art der Strafverfolgungsmaßnahme oder nach ihrer Dauer unvollständig ist. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber § 8 Abs. 3 StrEG – obwohl das Problem der Behandlung von unterbliebenen Entschädigungsentscheidungen im Urteil seinerseits bereits bekannt war – mit Art. 9 des Strafverfahrensänderungsgesetzes von 1987 (vgl. BGBl I 1987...