In der Rechtsprechung sehen sich Tabellenwerke nicht ohne Grund einer gewissen Kritik ausgesetzt. Zunächst legen Sie den Bedarf abstrakt fest, d.h. losgelöst vom Einzelfall und ohne Berücksichtigung individueller Komponenten. Der zugrunde liegende Datenbestand ist in der Regel für den Laien oder die Anwender der Tabellen ad hoc nicht überprüfbar und möglicherweise sogar veraltet. Vielleicht werden moderne technische Hilfsmittel oder Haushaltsgeräte bei der Frage eines Zeitaufwandes nicht hinreichend berücksichtigt, vielleicht gibt es andere statistische oder mathematische Tücken, die sich dem Anwender der Tabelle auf den ersten Blick nicht erschließen. Darüber hinaus führen Tabellenwerke gerade in den Extremen schon einmal zu etwas merkwürdig anmutenden Ergebnissen: Werfen Sie dazu einmal einen Blick in die Tabelle zum reduzierten 6-PH, also einem 5-PH+ nach Versterben der sechsten Person an. In der Anspruchsstufe 4 (hoch) zeigt sich hier für die nicht erwerbstätige Ehefrau ein wöchentlicher Zeitaufwand von 111,1 Stunden. Gönnt man der armen Frau nur einen freien Tag in der Woche, so führt das zu einer täglichen Arbeitszeit von 18,5 Stunden, an sechs Tagen die Woche.
Ein ähnliches Problem gibt es aber auch im Bereich der konkreten Darlegung des Schadens. Zum einen sind die tatsächlichen oder jedenfalls gefühlten Anforderungen an die Darlegung und Substantiierung der Ansprüche z.T. ungerechtfertigt hoch. Zum anderen hat natürlich die konkrete Darlegung im Verhältnis zum Tabellenwerk den unzweifelhaften Vorteil, dass der tatsächliche Haushalt dargelegt und besprochen, also geprüft und bewertet wird und nicht etwas Abstraktes, von dem wir im konkreten Fall nicht wissen, ob grundlegende Annahmen überhaupt zutreffen.
Wir kennen es aber sowohl aus unserer Tätigkeit für den Geschädigten als auch aus unserer Tätigkeit für den Schädiger, dass zum Teil im Brustton der Überzeugung ein Haushaltsführungsschaden vorgetragen wird, bei dem jeder von uns das spontane Gefühl entwickelt, im schmutzigsten Haushalt der Republik zu leben. In aller Regel wird mehrmals die Woche Staub gesaugt und gewischt, es wird jeden Tag eingekauft, Haustiere werden mindestens 3 Stunden täglich Gassi geführt, und das ganze Haus blitzt und blinkt in allen Ecken. In der Regel führt der Geschädigte den Haushalt vollkommen alleine, der mit im Haushalt lebende Partner ist stets völlig untätig oder erledigt nur beiläufige Tätigkeiten, die für die Haushaltsführung insgesamt von eher untergeordneter Bedeutung sind. Männer wissen nicht, wie eine Spülmaschine funktioniert, Frauen nicht, wie man Glühbirnen tauscht.
Dass auch dieses Ergebnis irgendwie nicht richtig sein, der gelebten Wirklichkeit kaum entsprechen kann und hier eine offensichtliche Überkompensation droht, liegt auf der Hand. Insoweit sehen sich beide Varianten sowohl aus Sicht des Geschädigten als auch aus Sicht des Schädigers einer von meiner Warte aus durchaus begründeten Kritik ausgesetzt.
Eine tabellarische Lösung verschafft dem Geschädigten mit niedrigeren Substantiierungsanforderungen Zugang zum Schadensersatz, verallgemeinert aber ohne Konkretes zu berücksichtigen. Vielleicht ersparen wir uns bei einer Schätzung auf Basis eines Tabellenwerkes sogar eine umfangreiche Beweisaufnahme, wir wissen aber nicht, ob der der Tabelle zugrunde liegende Tatbestand zutrifft.
Die konkrete Darlegung hat (z.T. äußerst) hohe Anforderungen, bezieht sich dafür aber auf den konkreten Haushalt. Sie hat – unter Effizienz- und Kostengesichtspunkten zum Teil durchaus fragwürdig – eine möglicherweise aufwendige Beweisaufnahme mit allerdings präziseren Ergebnissen zur Folge und auch hier stellt sich die Frage, ob der im Prozess vermittelte Datenbestand bei drohender Überkompensation zutrifft.
Grundsätzlich finde ich das Konstrukt einer Tabelle zur Ermittlung des Schadens durchaus charmant. Es erhöht die Effizienz und bildet bei korrektem Datenbestand ein recht realistisches Bild der Wirklichkeit ab. Tabellenwerke sind in der Rechtsprechung zur Schätzung des Schadens auch durchaus anerkannt, denken Sie nur an die Mietwagenkosten, insbesondere aber an den Nutzungsausfall, auch bei den Sachverständigenkosten setzen sich Tabellen immer weiter durch. Auch der Verteilungsschlüssel, beispielsweise im Bereich des Barunterhaltsschadens, folgt einem in Rechtsprechung und Literatur entwickelten Tabellensystem, mit dem im Grunde alle leben können.