VVG § 14 § 172
Leitsatz
1. Zu den Voraussetzungen der Eintrittspflicht aus einer "Schulunfähigkeitsversicherung", die Leistungen für den Fall verspricht, dass die versicherte Person während der Versicherungsdauer zu mindestens 50 Prozent schulunfähig bzw. erwerbsunfähig wird und damit Versicherungsschutz für zwei selbstständige, an unterschiedliche – insbes. persönliche – Voraussetzungen geknüpfte Versicherungsfälle bietet.
2. Kommt der VN (Versicherte, §§ 156, 176 VVG) einer ihm im Rahmen der Leistungsprüfung angebotenen Begutachtung ohne ausreichenden Grund nicht nach, so hat dies ohne Rücksicht auf die Eintrittspflicht des Versicherers wegen vormaliger "Schulunfähigkeit" nach dem planmäßigen Ende des Leistungsbezuges zur Folge, dass der VR seine Ermittlungen zu einer dann in Betracht kommenden Erwerbsunfähigkeit nicht abschließen kann und diesbezügliche Ansprüche nicht fällig werden.
OLG Saarbrücken, Beschl. v. 7.11.2023 – 5 W 62/23
1 Sachverhalt
Die ASt unterhält bei der AG einen Versicherungsvertrag über eine "Schulunfähigkeitsversicherung" und eine sich anschließende Erwerbsunfähigkeitsversicherung, versicherte Person und lebzeitig Begünstigter ist ihr am 11.4.1999 geborener Sohn, Versicherungsbeginn war der 1.3.2006, Ablauf der Versicherung, der Beitragszahlung und der Rentenzahlung im Versicherungsfall ist jeweils der 1.3.2064. Unter dem 1.2.2017 stellte die ASt einen Antrag auf Leistungen wegen Schulunfähigkeit, den sie mit einer seit August 2016 bestehenden "Internetspielsucht" ihres Sohnes begründete; dieser spiele 12 bis 13 Stunden täglich, dadurch bestünden Schlafstörungen und eine Verschiebung des Tag-Nacht-Rhythmus um 12 Stunden, soziale Zurückgezogenheit und Essstörungen, ein Schulbesuch der – seit 29.8.2016 von ihm besuchten – 11. Klasse sei nicht möglich. Die AG erklärte, dass eine leistungsauslösende Schulunfähigkeit derzeit nicht nachgewiesen, sie aber bereit sei, den Sachverhalt erneut zu überprüfen; erklärte sich aber "ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, unabhängig von den geltenden Versicherungsbedingungen, rein auf dem Kulanzwege und ohne bedingungsgemäße Anerkennung einer Schulunfähigkeit" vom 1.9.2016 an dazu bereit, bis zum 31.12.2017 Versicherungsleistungen zu erbringen. Nach Ablauf dieses Zeitraumes beantragte die ASt erneut Leistungen wegen Schulunfähigkeit. Aufforderungen zu ärztlichen Untersuchungen kam die ASt nicht nach. Der versicherte sei nicht in der Lage, sich zu einer Untersuchung zu begeben oder einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.
Das LG hat der ASt Prozesskostenhilfe insoweit gewährt, als diese die AG auf Zahlung rückständiger Rente in Höhe von 8.969,56 EUR in Anspruch zu nehmen beabsichtigt; im Übrigen hat es den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen. Gegen die Versagung richtet sich die sofortige Beschwerde der Ast.
2 Aus den Gründen:
1. Auf Grundlage des Klagevorbringens kann die ASt keine Rentenzahlungen wegen Schulunfähigkeit ihres Sohnes für weitere vergangene oder künftige Zeiträume beanspruchen. Ungeachtet ihrer fehlenden Sachbefugnis hat das LG richtig erkannt, dass eine von ihm im Grundsatz für möglich gehaltene Leistungspflicht der AG aus diesem Versicherungsfall hier bedingungsgemäß frühestens am 1.9.2016 begonnen haben könnte und spätestens mit Ablauf des Monats Juli 2019 geendet hätte, mithin über den – unter Berücksichtigung der "kulanzhalber" erbrachten Leistungen … hinaus keine weitergehende Leistungspflicht aus diesem möglichen Versicherungsfall in Betracht kommt.
a) Nach den vertraglichen Vereinbarungen, die sich aus dem Versicherungsschein und den Versicherungsbedingungen der AG … schuldet die AG die mit der Klage begehrten Leistungen bei Eintritt eines Versicherungsfalles, hier: wenn die versicherte Person während der Versicherungsdauer "zu mindestens 50 Prozent schulunfähig bzw. erwerbsunfähig wird" (§ 1 Abs. 1 AVB/TB). Der Vertrag gewährt damit Versicherungsschutz für zwei selbstständige, an unterschiedliche – insbes. persönliche – Voraussetzungen geknüpfte Versicherungsfälle ("Schulunfähigkeit", § 2 AVB, und "Erwerbsunfähigkeit", § 3 AVB). Vor Eintritt von Schulunfähigkeit muss der Versicherte bedingungsgemäß Schüler oder Student sein (Gramse, in: Staudinger/Halm/Wendt, Versicherungsrecht 3. Aufl., § 2 BUV 2008 Rn 96); ist er das nicht mehr, so ist er von diesem Zeitpunkt an bis zum Endalter der Vertragslaufzeit gegen Erwerbsunfähigkeit – bzw., bei Inanspruchnahme des Umstellungsrechts nach § 3 Abs. 8 AVB, gegen Berufsunfähigkeit – versichert (§ 3 Abs. 1 AVB). Vollständige Schulunfähigkeit liegt vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich mindestens sechs Monate ununterbrochen außerstande ist, weiterhin als Schüler oder Student an einem regulären Schulunterricht oder an einem regulären Studium teilzunehmen (§ 2 Abs. 1 AVB). Teilweise Schulunfähigkeit liegt vor, wenn diese Voraussetzungen nur in einem bestimmten Grad erfüllt sind (§ 2 Abs. 2 AVB). Ist die versicherte Person sec...