[…] II.
1. Der gemäß § 62 OWiG zulässige Antrag ist nur aus dem im Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
a) Dem Betroffenen steht ein Anspruch auf Einsicht in sämtliche Wartungs- und Reparaturnachweise im Zusammenhang mit den Instandsetzungen des Messgeräts mit der Gerätenummer 8078 am 6.3.2023 und am 5.4.2023 zu.
1.) Dieser Anspruch ergibt sich unter Zugrundelegung der aktuellen Rechtsprechung des BVerfG. Danach fordert ein rechtsstaatliches und faires Verfahren in Anwendung von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 2 Abs. 1 GG "Waffengleichheit" zwischen den Verfolgungsbehörden einerseits und dem Beschuldigten/Betroffenen andererseits. Der Betroffene hat deshalb ein Recht auf möglichst frühzeitigen und umfassenden Zugang zu Beweismitteln und Ermittlungsvorgängen und auf die Vermittlung der erforderlichen materiell- und prozessrechtlichen Informationen, ohne die er seine Rechte nicht wirkungsvoll wahrnehmen könnte (vgl. grundlegend BVerfG, Beschl. v. 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18; speziell zur Rohmessdatenproblematik jüngst BVerfG, Beschl. v. 20.6.2023 – 2 BvR 1167/20).
Dieses Begehren auf Informationszugang zu den außerhalb der Bußgeldakte befindlichen und bei der Verwaltungsbehörde vorhandenen Informationen soll einen Betroffenen in die Lage versetzen, sich selbst Gewissheit darüber zu verschaffen, dass sich aus den dem Gericht nicht vorgelegten Inhalten keine seiner Entlastung dienenden Tatsachen ergeben, und um beurteilen zu können, ob Beweisanträge gestellt oder Beweismittel vorgelegt werden sollen. Das aus den aufgezeigten Verteidigungsinteressen eines Betroffenen hervorgehende umfassende Informations- und Einsichtsrecht kann dabei deutlich weitergehen als die Aufklärungspflicht des Gerichts in der Hauptverhandlung (vgl. bereits OLG Dresden, Beschl. v. 11.12.2019 – OLG 23 Ss 709/19 (B), BeckRS 2019, 37019).
Dabei gilt jedoch das Recht auf Zugang zu den außerhalb der Akte befindlichen Informationen gerade im Bereich massenhaft vorkommender Ordnungswidrigkeiten nicht unbegrenzt, weil andernfalls die Gefahr der uferlosen Ausforschung, erheblicher Verfahrensverzögerungen und des Rechtsmissbrauchs bestünde. Die begehrten, hinreichend konkret benannten Informationen müssen deshalb zum einen in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem jeweiligen Ordnungswidrigkeitenvorwurf stehen und zum anderen erkennbar eine Relevanz für die Verteidigung aufweisen. Die Frage, welche Information zur Aufklärung von Funktionsbeeinträchtigungen des Messgerätes beitragen kann, lässt sich nicht abstrakt-generell beantworten, sondern ist abhängig von dem konkreten Dokument und dem Umfang der begehrten Einsichtnahme.
Der Gewährung eines solchen Informationszugangs können zudem gewichtige verfassungsrechtlich verbürgte Interessen wie beispielsweise die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege oder auch schützenswerte Interessen Dritter widerstreiten. Auch müssen unter dem Gesichtspunkt der "Waffengleichheit" in der Rollenverteilung begründete verfahrensspezifische Unterschiede in den Handlungsmöglichkeiten von Verfolgungsbehörde und Verteidigung nicht in jeder Beziehung ausgeglichen werden.
2.) Unter Zugrundelegung des vorgenannten Maßstabs sind diese Voraussetzungen bei einem Einsichtsbegehren hinsichtlich der Wartungs- und Instandsetzungsunterlagen erfüllt (grundlegend VerfGH RP, Beschl. v. 13.12.2021 – VGH B 46/21; ebenso VerfGH BW, Urt. v. 16.1.2023 – 1 VB 38/18). Die von Verfassungs wegen geforderte Relevanz der seit der Eichung vorliegenden Wartungs- und Instandsetzungsunterlagen für die Verteidigung ist zu bejahen. Sie ist insbesondere nicht etwa mit Blick auf eine bloß theoretische Aufklärungschance zu vermeinen. Für eine restriktivere Handhabung des Einsichtsrechts in vorhandene Unterlagen – etwa die Forderung, die Relevanz der begehrten Information müsse "auf der Hand liegen" – ist mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz kein Raum. Liegen die zulässigerweise begehrten Informationen bei der Bußgeldstelle oder – wie hier – bei der ihr zuarbeitenden Polizeidienststelle vor, hat sie dem Betroffenen auf Antrag Einsicht hierein zu gewähren.
Dabei stellt in zeitlicher Hinsicht der Eichzeitraum die maßgebliche Grenze für das berechtigte Informationsbegehren des Betroffenen dar. Vom Einsichtsrecht erfasst werden folglich auch Unterlagen solcher Wartungen, die nach der verfahrensgegenständlichen Messung, aber vor dem Ende der Eichfrist vorgenommen worden sind (so VerfGH RP, Beschl. v. 27.10.2022 – VGH B 57/21). Reparaturen oder Wartungen vor der letzten Eichung weisen demgegenüber keinen Zusammenhang mit der konkreten Messung auf; sie sind durch die Eichung gleichsam überholt. Für diese Zeiten besteht daher noch nicht einmal eine theoretische Möglichkeit, Rückschlüsse auf die Funktionsfähigkeit des Gerätes am Tage der streitgegenständlichen Messung zu erhalten. Etwas anderes gilt für den Zeitraum nach der letzten Eichung. Dabei kann dahinstehen, ob messrelevante Eingriffe in das...