VVG § 6 Abs. 1, Abs. 3; § 61; AVB Transport-, Reise- und Warenlagerversicherung
Leitsatz
1. Der Klausel einer Reiselagerversicherung, nach der der Versicherungsnehmer bei allen Handlungen die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns wahrzunehmen habe, lässt sich keine Verschärfung des Sorgfaltsmaßstabs des § 61 VVG entnehmen.
2. Das Abstellen einer Wertgegenstände enthaltenden unauffälligen Tasche in unmittelbarer Nähe des Versicherungsnehmers in einer zur Straße hin abgeschlossenen Rückgabestation für Mietwagen ist nicht grob fahrlässig.
3. Die Klausel einer Reiselagerversicherung, nach der Versicherungsschutz für versicherte Ware unter Aufsicht des Reiselagerbegleiters besteht, enthält eine Obliegenheit.
OLG Karlsruhe, Urt. v. 5.11.2007 – 12 U 69/07
Sachverhalt
Die Klägerin begehrt aus einer Transport-, Reise- und Warenlagerversicherung eine Entschädigung für eine ihrem Geschäftsführer an einer Mietwagenrückgabestation auf St. Maarten/Karibik entwendete Schmuckkollektion; er hatte die sie enthaltende Aktentasche neben sich auf den Boden gestellt. Die AVB enthalten u.a. folgende Regelungen:
4.2 Versicherte Gefahren und Schäden
4.2.1 Es besteht Versicherungsschutz für alle Verluste und Beschädigungen der versicherten Waren während der Mitführung auf Geschäftsreisen und Geschäftsbesuchen [ … ], soweit sie nicht ausdrücklich in den nachfolgenden Bestimmungen von der Versicherung ausgeschlossen sind.
4.5 Aufbewahrungsvorschriften
Voraussetzung für den Versicherungsschutz ist, dass
4.5.1 die versicherte Ware unter Aufsicht des Reiselagerbegleiters ist [ … ]
7.1 Allgemeine Pflichten
Der Versicherungsnehmer hat bei allen Handlungen die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns des Edelstein-, Schmuck- und Uhrengewerbes wahrzunehmen.
Aus den Gründen
“ … Die Klage ist begründet, soweit die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung in Höhe von 84.835,20 EUR aus § 1 Abs. 1 S. 1, § 49 VVG geltend macht:
1. Die Beklagte ist nicht nach § 61 VVG leistungsfrei.
a) Dem Geschäftsführer M K, dessen Verschulden sich die Klägerin nach § 31 BGB zurechnen lassen muss, kann grobe Fahrlässigkeit im Zusammenhang mit dem Verlust der Tasche am 7.12.2005 nicht vorgeworfen werden.
Dabei kann dahinstehen, ob Geschäftsführer M K die Tasche – wie von der Klägerin behauptet – direkt neben sich oder – wie von der Beklagten vorgetragen – in einem Meter Entfernung abgestellt hatte. Er behielt die Tasche jedenfalls in seiner unmittelbaren Nähe. Durch die Mitnahme eines alten Fabrikats hatte er dafür gesorgt, dass sein Gepäck nicht als augenfällig lukrative Beute erschien, und so die Gefahr verringert, Opfer eines Diebstahls zu werden. Das Geschäftslokal war zur Straße hin abgeschlossenen. Dichtes Gedränge herrschte nicht. Auch wenn der Geschäftsführer M K keinen durchgehenden Körperkontakt zu der Tasche hielt, lässt sich unter diesen Umständen ein Vorwurf eines auch in subjektiver Hinsicht erheblich gesteigerten Verschuldens nicht begründen.
Die von der Beklagten angeführte Entscheidung des OLG Düsseldorf r+s 2002, 483 betrifft einen ganz anders gelagerten Sachverhalt, der sich “im Herzen des Diamanten-Viertels von Antwerpen’ ereignete.
b) Ob der Versicherungsfall durch einfache Fahrlässigkeit des Geschäftsführers M K herbeigeführt wurde, bedarf keiner Entscheidung. Selbst wenn ihm ein Verstoß gegen die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns zur Last zu legen wäre, befreite dies die Beklagte nicht von ihrer Leistungspflicht. Entgegen der Auffassung des LG haben die Parteien mit der Klausel 7.1 für die Leistungsfreiheit wegen Herbeiführung des Versicherungsfalls keinen verschärften Sorgfaltsmaßstab vereinbart. Eine solche dem Versicherungsnehmer nachteilige Regelung lässt sich der Klausel, die jedenfalls dem Wortlaut nach zur Frage der Leistungsfreiheit schweigt, im Rahmen der gebotenen Auslegung nicht entnehmen; sollte sie gleichwohl auch als Bestimmung einer Leistungsfreiheit bereits bei fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls verstanden werden können, so käme sie wegen § 305c Abs. 2 BGB mit diesem Gehalt nicht zu Anwendung; jedenfalls aber wäre sie in ihren dem Versicherungsnehmer nachteiligen Folgen nicht klar und verständlich, weshalb sie gem. § 307 Abs. 1, § 310 Abs. 1 BGB unwirksam wäre.
Allgemeine Versicherungsbedingungen sind Allgemeine Geschäftsbedingungen des Versicherers. Dieser Charakter der Versicherungsbedingungen bestimmt die bei ihrer Auslegung anzuwendenden Maßstäbe; er hindert es, sie “gesetzesähnlich’ auszulegen. Vielmehr sind – nach der gefestigten Rspr. des BGH und des Senats – Allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhanges verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit – auch – auf seine Interessen an. Für eine an diesen Grundsätzen orientierte Auslegung ist nicht maßgeblich, was sich der Verfasser der ...