AMG a.F. § 84; ZPO § 268
Zum Beweis des Ursachenzusammenhangs zwischen der Einnahme eines Arzneimittels und dem Gesundheitsschaden des Patienten.
BGH, Urt. v. 16.3.2010 – VI ZR 64/09
Der Kläger litt seit 1993 an Schmerzen, die mit verschiedenen entzündungshemmenden Schmerzmitteln "V" und "W" behandelt wurden. Ab Februar 2001 erhielt er das von der Beklagten in Deutschland vertriebene Schmerzmittel "X". Am 13.1.2002 erlitt der damals 73 Jahre alte Kläger einen Herzinfarkt. Aus stationärer Behandlung wurde er unter Verordnung von "X" 25 mg/dl entlassen. Im Mai 2004 erfolgte eine erneute Aufnahme in die Kardiologie wegen einer instabilen Angina Pectoris, die seitens der behandelnden Ärzte auf rezidivierende Blutdruckentgleisungen zurückgeführt wurde. Die Beklagte nahm "X" nach dem Bekanntwerden möglicher erheblicher Gesundheitsrisiken im Jahr 2004 freiwillig vom Markt.
Der Kläger begehrt Ersatz materiellen und immateriellen Schadens. Er hat geltend gemacht, der Herzinfarkt sei auf das Medikament "X" zurückzuführen, das er seit der Erstverordnung regelmäßig in einer Tagesdosis von mindestens 25 mg eingenommen habe. Die von der Beklagten gegebene Gebrauchsinformation sei mangelhaft gewesen. Auf Grund der vorliegenden Studienergebnisse hätte die Beklagte das Medikament bereits im Jahr 2000 vom Markt nehmen müssen.
Die Klage hatte in den Tatsacheninstanzen keinen Erfolg gehabt.
Auch die Revision des Klägers blieb erfolglos.
Aus den Gründen:
[5] “… II. …
[6] 1. Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, dem Kläger komme die in § 84 Abs. 2 AMG geregelte Kausalitätsvermutung nicht zugute. Abs. 2 dieser Vorschrift ist durch Art. 1 Nr. 1 des Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19.7.2002 (BGBl I, 2674) in das Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln – Arzneimittelgesetz (AMG) eingefügt worden. Die Vorschrift ist gem. Art. 229 § 8 Abs. 1 EGBGB anzuwenden, wenn das schädigende Ereignis nach dem 31.7.2002 eingetreten ist. Weil § 84 AMG eine Gefährdungshaftung des pharmazeutischen Unternehmers anordnet, ist dabei nach allgemeinen Grundsätzen auf den Zeitpunkt des Eintritts der Rechtsgutsverletzung abzustellen, da erst diese die Haftung auslöst (vgl. Oetker, in: MüKo zum BGB, 4. Aufl., Art. 229 § 8 EGBGB, Rn 16 m.w.N.).
[7] Die Revision stellt nicht in Abrede, dass § 84 Abs. 2 S. 1 AMG demgemäß auf den am 13.1.2002 – und somit vor dem in Art. 229 § 8 Abs. 1 EGBGB genannten Stichtag – eingetretenen Herzinfarkt des Klägers keine Anwendung findet. Soweit sie geltend macht, das Berufungsgericht hätte § 84 Abs. 2 AMG jedoch hinsichtlich der im Mai 2004 aufgetretenen Angina Pectoris anwenden müssen, kann sie keinen Erfolg haben. Ansprüche wegen dieser Gesundheitsschädigung waren in den Tatsacheninstanzen nicht Streitgegenstand. Die Revision macht zwar geltend, dass der Kläger die im Jahr 2004 aufgetretene Erkrankung ebenso wie den Herzinfarkt auf die Einnahme des Medikaments ‘X’ zurückführe, sie zeigt jedoch nicht auf, dass der Kläger insoweit im vorliegenden Rechtsstreit Ansprüche gegen die Beklagte erhoben hat.
[8] Nach dem Klagevorbringen sind die geltend gemachten Ansprüche ausschließlich auf den im Januar 2002 erlittenen Herzinfarkt gestützt worden. Demgemäß hat das LG den Beweisbeschluss allein auf diese Erkrankung bezogen, ohne dass der Kläger dies beanstandet hätte. Auch das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. K bezog sich dem Beweisbeschluss entsprechend allein auf den Herzinfarkt. Der Kläger hat dagegen keine Einwendungen erhoben und weder eine Ergänzung des Gutachtens im Hinblick auf die aufgetretene Angina Pectoris verlangt noch die Ladung des Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens beantragt.
Das LG hat die Klageabweisung allein damit begründet, dass ein Ursachenzusammenhang zwischen der Einnahme von ‘X’ und dem im Jahr 2002 eingetretenen Herzinfarkt nicht nachgewiesen sei. Dass das LG Ansprüche im Hinblick auf die im Jahr 2004 aufgetretene Angina Pectoris fehlerhaft nicht beschieden habe, hat der Kläger mit der Berufung nicht gerügt. Bei dieser Sachlage war die in der Berufungsbegründung enthaltene pauschale und allgemeine Bezugnahme auf den erstinstanzlichen Vortrag des Klägers entgegen der Auffassung der Revision auch nicht geeignet, Ansprüche wegen der mehr als zwei Jahre nach dem Herzinfarkt aufgetretenen Angina Pectoris zum Streitgegenstand des Berufungsverfahrens zu machen (vgl. Senat vom 13.11.2001 – VI ZR 414/00 – VersR 2002, 999, 1000 f. m.w.N.).
[9] Sind die geltend gemachten Klageansprüche mithin ausschließlich auf der Grundlage des bis zum 31.7.2002 geltenden Schadensersatzrechts zu beurteilen (hier: §§ 84 ff. AMG a.F., § 253 BGB a.F.), kommt ein Anspruch des Klägers auf Ersatz immateriellen Schadens nicht in Betracht.
[10] 2. Die Revision hat auch keinen Erfolg, soweit sie sich dagegen wendet, dass das Berufungsgericht dem auf Ersatz materiellen Schadens gerichteten Feststellungsbegehren des Klägers im Hinblick au...