ZPO § 811 Abs. 1 Nr. 5
a) Unpfändbar sind auch die Gegenstände des Schuldners, die sein Ehegatte zur Fortsetzung einer Erwerbstätigkeit benötigt.
b) Zur Fortsetzung der Erwerbstätigkeit i.S.d. § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO erforderliche Gegenstände können auch Kraftfahrzeuge sein, die ein Arbeitnehmer für die täglichen Fahrten von seiner Wohnung zu seinem Arbeitsplatz und zurück benötigt.
BGH, Beschl. v. 28.1.2010 – VII ZB 16/09
Aus den Gründen:
[1] “I. Die Gläubigerin betreibt aus drei Vollstreckungstiteln wegen einer Forderung von insgesamt 2.459,79 EUR die Zwangsvollstreckung gegen die Schuldnerin.
[2] Die Schuldnerin ist erwerbsunfähig und bezieht eine Rente in Höhe von etwa 840 EUR netto. Sie lebt zusammen mit ihrem Ehemann und drei Kindern im Alter zwischen 14 und 18 Jahren in dem Dorf K. Der Ehemann der Schuldnerin ist in der Kreisstadt N beschäftigt mit regelmäßigen Arbeitszeiten von 7.00 Uhr bis 15.45 Uhr, ab und zu auch bis 17.30 Uhr. Für die Fahrten zur Arbeitsstelle verwendet er einen Pkw Ford Mondeo, Baujahr 1994, den er am 29.4.2006 zum Preis von 1.900 EUR erworben hat. Der Pkw ist auf die Schuldnerin zugelassen.
[3] Die Gläubigerin hat die Gerichtsvollzieherin beauftragt, diesen Pkw zu pfänden. Die Gerichtsvollzieherin hat den Auftrag abgelehnt. Die dagegen eingelegte Erinnerung der Gläubigerin hat das AG – Vollstreckungsgericht – zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde gegen diesen Beschluss ist ohne Erfolg geblieben. Das Beschwerdegericht hat die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit dieser begehrt die Gläubigerin, die Gerichtsvollzieherin anzuweisen, den Vollstreckungsauftrag auszuführen.
[4] II. Die gem. § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
[5] 1. Das Beschwerdegericht, dessen Entscheidung bei juris dokumentiert ist, führt aus, der Pkw sei gem. § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO nicht pfändbar, da er für die Fortsetzung der Erwerbstätigkeit des Ehemanns der Schuldnerin erforderlich sei. Zwar benötige die Schuldnerin selbst das Fahrzeug nicht für eine Erwerbstätigkeit. Doch auch ihr Ehemann gehöre zu dem durch § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO geschützten Personenkreis. Das Zwangsvollstreckungsrecht sei dadurch geprägt, dass dem Schuldner und seiner Familie zumindest so viel verbleiben müsse, dass, wenn auch in bescheidenem Umfang, davon gelebt werden könne. Dem Schuldner müsse daher auch das belassen werden, was dazu diene, die für den notwendigen Lebensunterhalt erforderlichen Mittel zu erzielen. Dabei könne es keinen Unterschied machen, ob der Schuldner selbst mittels eines Fahrzeugs Erwerbseinkommen erziele oder ob er dieses seinem Ehegatten zur Verfügung stelle, damit dieser für den Familienunterhalt sorgen könne. Bleibe dem Ehemann der Schuldnerin der Pkw erhalten, könne er weiterhin seine Unterhaltsverpflichtungen aus § 1360 BGB erfüllen. Eine weite Auslegung von § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO sei daher auch durch Art. 6 GG geboten. Der Gegenmeinung, die vor allem aus dem Wortlaut schließe, dass § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO nur für den Schuldner gelte, könne aus diesen Gründen nicht gefolgt werden. Der Pkw sei auch zur Ausübung der Erwerbstätigkeit des Ehemanns der Schuldnerin erforderlich. Es werde heute als selbstverständlich angesehen, dass der Arbeitnehmer mit dem Fahrzeug zur Arbeitsstelle fahre. Es sei dem Ehemann der Schuldnerin nicht zuzumuten, gegebenenfalls stundenlang auf ein öffentliches Verkehrsmittel zu warten, wenn es in der ländlichen Region, in der die Familie wohne, überhaupt noch verkehre. Unbestritten heiße es in dem angefochtenen Beschluss des AG, es sei gerichtsbekannt, dass öffentliche Verkehrsmittel zur Realisierung der Arbeitszeiten des Ehemanns der Schuldnerin nicht zur Verfügung stünden.
[6] 2. Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
[7] a) Zutreffend ist die Ansicht des Beschwerdegerichts, die Schuldnerin könne sich auf § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO berufen, obwohl ihr Ehemann den Pkw für die Fahrten zu seiner Arbeitsstelle benutze. Denn der Schutzbereich der Vorschrift erstreckt sich auch auf ihn.
[8] aa) Nach der überwiegenden Auffassung in Rspr. und Literatur greift § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO auch dann ein, wenn der beim Schuldner zu pfändende Gegenstand von seinem Ehegatten für eine eigene Erwerbstätigkeit benötigt wird (OLG Hamm DGVZ 1984, 138; LG Nürnberg-Fürth DGVZ 1963, 101; Zöller/Stöber, ZPO, 28. Aufl., § 811 Rn 24; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 22. Aufl., § 811 Rn 55; Schuschke/Walker/Walker, ZPO, 4. Aufl., § 811 Rn 32; MüKo-ZPO/Gruber, 3. Aufl., § 811 Rn 39; Musielak/Becker, ZPO, 7. Aufl., § 811 Rn 17; PG/Flury, ZPO, § 811 Rn 27; Wieczorek/Schütze/Lüke, ZPO, 3. Auf., § 811 Rn 34).
[9] Nach anderer, vor allem am Wortlaut der Norm orientierter Ansicht soll § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO allein für den Schuldner gelten (OLG Stuttgart DGVZ 1963, 152; LG Augsburg Rpfleger 2003, 203; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 30. Aufl., § 811 Rn 25; HK-ZPO/Kemper, 3. Aufl., § 811 Rn 23; Müller, Zwangsvollstreckung gegen Ehegatten, S. 40 ff.).
[10] bb) Die erstgenannte Meinung tr...