BGB § 823
Zur Frage einer Nachrüstungspflicht des Verkehrssicherungspflichtigen für bestehende technische Anlagen (hier: halbautomatische Glastüre als Zugang zu einem Geldautomaten einer Bank) im Falle einer Verschärfung von DIN-Normen.
BGH, Urt. v. 2.3.2010 – VI ZR 223/09
Die an einer spastischen Behinderung leidende Klägerin nahm die beklagte Bank auf Schadensersatz wegen einer behaupteten Verletzung der Verkehrssicherungspflicht in Anspruch. Sie hat behauptet, im Jahre 2006 außerhalb der Öffnungszeit der Bank sich in eine deren Filialen begeben zu haben, um am dortigen Automaten Geld abzuheben. Beim Eintreten sei die automatische Glastür offen gewesen. Bei Verlassen des Automatenraumes habe die Glastür zunächst offen gestanden, sich dann jedoch plötzlich geschlossen, sodass Mittel- und Ringfinger der rechten Hand eingeklemmt worden seien, wodurch sie verletzt worden sei. Die Glastür entsprach den zum Zeitpunkt des Einbaus geltenden Einrichtungsvorschriften. Eine zum Zeitpunkt des Unfalls noch nicht ein Jahr geltende heue Herstellungsnorm, die eine Nachrüstung der Schließanlage vorsah, war von der Beklagten noch nicht umgesetzt worden. AG und LG haben eine Haftung der Beklagten wegen Verletzung der Nachrüstungspflicht verneint. Die zugelassene Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen:
[4] “ … II. Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis mit Recht einen Verstoß der Beklagten gegen die ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht verneint.
[5] 1. Nach st. Rspr. des BGH ist derjenige, der eine Gefahrenlage – gleich welcher Art – schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern (vgl. etwa Senat vom 19.12.1989 – VersR 1990, 498, 499; vom 4.12.2001 – VersR 2002, 247, 248; vom 15.7.2003 – VersR 2003, 1319; vom 8.11.2005 – VersR 2006, 233, 234 und vom 16.5.2006 – VersR 2006, 1083, 1084, jeweils m.w.N.; vgl. auch BGHZ 121, 367, 375 = VersR 1993, 1127, 1129 und BGH vom 13.6.1996 – VersR 1997, 109, 111). Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren.
[6] 2. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, wäre utopisch. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. Deshalb muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Es sind vielmehr nur diejenigen Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, die Schädigung anderer tunlichst abzuwenden (vgl. Senat vom 10.10.1978 – VersR 1978, 1163, 1165; VersR 2003, 1319; 2006, 233, 234 und 2006, 1083). Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB) ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält (vgl. Senat vom 16.2.1972 – VersR 1972, 559, 560; VersR 2003, 1319; 2006, 233, 234 und 2006, 1083, 1084).
Daher reicht es anerkannter Maßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise – hier der Banken – für ausreichend halten darf, um andere Personen – hier die Kunden – vor Schäden zu bewahren, und die den Umständen nach zuzumuten sind; Voraussetzung für eine Verkehrssicherungspflicht ist, dass sich vorausschauend für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Gefahr ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden können (vgl. Senat vom 12.2.1963 – VersR 1963, 532; vom 19.5.1967 – VersR 1967, 801; VersR 2002, 247, 248; 2003, 1319; 2006, 233, 234 und 2006, 1083, 1084).
[7] Kommt es in Fällen, in denen hiernach keine Schutzmaßnahmen getroffen werden mussten, weil eine Gefährdung anderer zwar nicht völlig ausgeschlossen, aber nur unter besonders eigenartigen und entfernter liegenden Umständen zu befürchten war, ausnahmsweise doch einmal zu einem Schaden, so muss der Geschädigte – so hart dies im Einzelfall sein mag – den Schaden selbst tragen. Er hat ein ‘Unglück’ erlitten und kann dem Schädiger kein ‘Unrecht’ vorhalten (vgl. Senat vom 15.4.1975 – VersR 1975, 812; VersR 2003, 1319; VersR 2006, 233, 234 und 2006, 1083, 1084).
[8] 3. Nach diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht im Ergebnis mit Recht eine Haftung der Beklagten verneint.
[9] a) Die vom Berufungsgericht als zulassungswürdig angesehene Frage einer Nachrüstungspflicht für bestehende technische Anlagen im Falle einer Verschärfung von Sicherheitsbestimmungen lässt sich nicht generell beantworten, sondern richtet sich ebenfalls danach, ob sich vorausschauend für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Gefahr ergibt, dass durch die bestehend...