BGB § 253
Leitsatz
1) Die taggenaue Bemessung des Schmerzensgeldes in Anlehnung an und die Kriterien des "Handbuchs Schmerzensgeld" von Schwintowski/Schah Sedi/Schah Sedi wird nicht übernommen, da das Abstellen auf das Bruttoeinkommen des Verletzten, die Bemessung des Schmerzensgeldes pro Tag der Arbeitsunfähigkeit mit 7 % des Bruttoeinkommens und durch die Berücksichtigung individueller Zu- und Abschläge weder geeignete Bemessungsfaktoren zugrunde gelegt werden noch die erstrebte Erleichterung der Berechnung erreicht werden kann.
2) Bei der Schätzung der Höhe des angemessenen Schmerzensgeldes sind die Schwere der erlittenen Verletzungen, die hierdurch bedingten Leiden, die subjektive Wahrnehmung der Beeinträchtigungen für den Verletzten und das Ausmaß des Verschuldens des Schädigers in erster Linie maßgeblich.
2) Einfluss auf die Bestimmung der Höhe des Schmerzensgeldes hat weiterhin das Lebensalter des Verletzten, dem sich die Auswirkung der Beeinträchtigung auf das Leben des Geschädigten entnehmen lässt.
3) Bei Verkehrsunfällen tritt die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes in den Hintergrund, sodass die Ausgleichsfunktion überwiegt.
4) Schließlich muss sich die Höhe des Schmerzensgeldes in das Gesamtsystem der Schmerzensgeldjudikatur einfügen.
(Leitsätze der Schriftleitung)
OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.3.2019 – I U 66/18
Sachverhalt
Der klagende Facharzt für Innere Medizin erlitt als Radfahrer bei einem Verkehrsunfall, für den die Bekl. in vollem Umfang eintrittspflichtig sind. Unfallbedingt war der Kl. mehrere Monate arbeitsunfähig und musste vier Mal mit jeweiligen kurzen stationären Aufenthalten operiert werden Außergerichtlich waren nach den Feststellungen des Senats auf das geforderte Schmerzensgeld 15.000 EUR gezahlt worden. Der Kl. machte unter Bezugnahme auf die von Schwintowski/Schah Sedi/Schah Sedi in dem Handbuch Schmerzensgeld entwickelte taggenaue Bemessung des Schmerzensgeldes ein weiteres Schmerzensgeld von mindestens 30.000 EUR geltend. Die Berufung hatte teilweise Erfolg.
2 Aus den Gründen:
"… 1. Schmerzensgeld"
Dem Kl. steht hinsichtlich des Schmerzensgeldes ein weiterer Anspruch i.H.v. 5.000 EUR zu.
Nach den Feststellungen des LG hat die Bekl. auf den Schmerzensgeldanspruch einen Betrag von insgesamt 15.000 EUR gezahlt.
a) Soweit der Kl. in erster Instanz behauptet hat, es seien nur 10.000 EUR gezahlt worden, hat das Landgericht – zu Recht – ausgeführt, dass bei den erfolgten Abschlagszahlungen mit Verrechnungsvorbehalt der Schuldner das ihm gem. § 366 Abs. 1 BGB zustehende Tilgungsbestimmungsrecht behalte, das in angemessener Zeit nachgeholt werden könne (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, § 366 Rn 7; BeckOK-BGB/Dennhardt BGB § 366 Rn 8.). Mangels anderweitigen Vortrags des Kl. dazu, auf weiche sonstigen Forderungen die Zahlung erfolgt sein solle, sei davon auszugehen, dass ein Teilbetrag der im Übrigen unstreitigen Zahlungen von 15.000 EUR auf den Schmerzensgeldanspruch erfolgt sei.
Einwendungen gegen diese Ausführungen erhebt der Kl. nicht; er beanstandet lediglich die Bemessung des Schmerzensgeldes und favorisiert eine “tagesgenaue' Bemessung nach den Kriterien, die in dem “Handbuch Schmerzensgeld' (Schwintowski/Schah Sedi/Schah Sedi, 2013) dargelegt sind und die jüngst das OLG Frankfurt in seiner Entscheidung vom 18.10.2018 (22 U 97/16) berücksichtigt hat.
b) Der Senat hat von der vom Kl. favorisierten tagesgenauen Berechnung des Schmerzensgeldes nach den im vorgenannten “Handbuch Schmerzensgeld' dargelegten Grundsätzen abgesehen.
Der Senat verkennt nicht die Schwierigkeiten, ein “angemessenes' Schmerzensgeld zu bemessen und hat Verständnis für das Interesse des Geschädigten, die Höhe anhand von bestimmten – scheinbar gerechten numerischen – Kriterien nachvollziehen zu können.
Die in dem “Handbuch Schmerzensgeld' vorgestellte Methodik ist aber in den Einzelheiten durchaus anfechtbar und führt jedenfalls in diesem Fall nicht zu eindeutigen Ergebnissen.
Es trifft zwar zu, dass der Schmerz und die Beeinträchtigung durch eine Verletzung “weder nach dem Einkommen noch nach dem persönlichen Status unterschiedlich bewertet werden' dürfen. Gleichwohl erschließt es sich nicht, wieso das “Bruttonationaleinkommen' als Grundlage unterschiedlicher Wertungsstufen herangezogen werden soll. Zu Recht weist die Bekl. darauf hin, dass es willkürlich erscheint, als Richtgröße für das zu bemessende Schmerzensgeld pro Tag Krankenhausaufenthalt den von den Autoren des Handbuches angesetzten Betrag von 10 % des Bruttonationaleinkommens anzusetzen.
In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass der Kl. bei seiner sehr groben und unvollständigen Berechnung in der Klageschrift einem grundlegenden Irrtum unterliegt, weil er nicht das Bruttonationaleinkommen, sondern offenbar das eines Arztes zum Maßstab seiner Berechnungen nimmt.
Genauso willkürlich erscheint es, bei der Dauer der Arbeitsunfähigkeit pro Tag (maximal) 7 % von dem Bruttonationaleinkommen je Einwohner in Ansatz zu bringen. Insoweit wird von den Autoren des Handbuchs eingeräumt, dass die Arbeitsunfähi...