Über rechtliche Bedenken an der gezielten Verkürzung der Beweisaufnahme durch die Amtsgerichte
A. Einführung
In Bußgeldverfahren wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen mit so genannten standardisierten Messverfahren hat nach § 71 Abs. 1 OWiG grundsätzlich ein Hauptverhandlungstermin stattzufinden. Die Hauptverhandlung ist das Kernstück des Straf- und Bußgeldverfahrens und dient dazu, den Vorwurf aus dem Bußgeldbescheid auf seine Berechtigung hin in einer Verhandlung bei steter Anwesenheit der maßgeblichen Beteiligten (§ 73 Abs. 1 OWiG) zu untersuchen. In der Regel geht es dem Betroffenen bzw. seinem Verteidiger um die Überprüfung der technischen Richtigkeit der Messung, wenn das Radarfoto zum Nachweis der Fahrereigenschaft geeignet ist, oder die Prüfung der Beschilderungslage. Mit dieser Ausgangskonstellation soll sich vorliegend der Beitrag befassen. Es kann festgestellt werden, dass derzeit Termine ständig nach demselben Muster ablaufen. Eine Beweisaufnahme im eigentlichen Sinne, Vernehmung eines Zeugen, des Messbeamten, findet dort gar nicht mehr statt. Beweisanträge in einem Bußgeldverfahren wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung gemessen mit einem standardisierten Messverfahren werden rigoros vom Richter abgelehnt. Nachfolgend sollen die Folgen eines solchen Vorgehens erörtert werden. Zuletzt soll bewertet werden, ob es sich bei einer derart gezielten Verkürzung der Beweisaufnahme durch die Amtsgerichte überhaupt noch um eine Hauptverhandlung oder "Scheinverhandlung" handelt.
B. Praxis in Bußgeldterminen
Zum Termin lädt das Gericht regelmäßig keine Zeugen mehr, auch nicht den polizeilichen Messbeamten, auch wenn dies nicht einheitlich von den Bußgeldrichtern so gehandhabt wird. Der Termin verläuft dann so, dass das Gericht Dokumente aus der Bußgeldakte, wie Radarbild, Messprotokoll, Eichschein, Schulungsnachweis des/der Messbeamten zum Gegenstand der Hauptverhandlung macht oder machen will und diese verliest oder verlesen will. Aus dem Messprotokoll ergibt sich unter anderem, ob die Beschilderung vor der Messung überprüft wurde, die Geschwindigkeitsuntergrenze, Beginn und Ende der Messung, Überprüfung der Eichsiegel und Sicherungsmarken durch den/die Messbeamte/n, ob es ein Anhaltekommando vor Ort gab und die Gerätenummer des verwendeten Messgeräts, manchmal auch die Witterungsverhältnisse am Tattag. Das Gericht weiß genau, dass die Polizeibeamten bei alltäglichen Messvorgängen häufig keine genaue Erinnerung mehr an den Tattag haben. Das Recht der Verteidigung, Fragen an den maßgeblichen Zeugen zu stellen, auch solche kritischer Natur, die mitunter die Befähigung des Messbeamten anzweifeln, z.B. zur Richtigkeit des Aufbaus des Messgeräts, ist dadurch abgeschnitten.
C. Erhebung des Widerspruchs gegen Verlesung und Verwertung
Will das Gericht Urkunden in die Hauptverhandlung einführen, so sollte der Rechtsanwalt der Verlesung und Verwertung des Messprotokolls der Geschwindigkeitsüberschreitung gem. §§ 77a OWiG, 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO widersprechen. Eine Verlesung des Messprotokolls im Hinblick auf die Beweisaufnahme über die Einhaltung der Anforderungen der Bedienungsvorgaben durch den Gerätehersteller anstelle der Zeugenvernehmung des Messbeamten verletzt den Unmittelbarkeitsgrundsatz der §§ 250 ff. StPO. Dieser besagt grundsätzlich, dass das Gericht alle Beweise selbst erheben muss und diese nicht durch Surrogate ersetzen darf. So sind etwa Zeugen persönlich zu vernehmen und es dürfen nicht schlichtweg die Protokolle über frühere Vernehmungen verlesen und als Urkunde (§ 249 StPO) in den Prozess eingeführt werden. Insofern gilt ein grundsätzlicher Vorrang des Personalbeweises vor dem Urkundsbeweis. Da im Hauptverhandlungsprotokoll nach wiederholten Erfahrungen vor Gericht eine Aufnahme des Widerspruchs des Verteidigers fehlte, sollte der Widerspruch von der Verteidigung schriftlich zur Akte gereicht werden. Bei der Verlesung einer Urkunde handelt es sich um eine wesentliche Förmlichkeit der Hauptverhandlung, so dass der Nachweis hierüber nur durch das Protokoll geführt werden kann (§ 274 StPO i.V.m. § 71 OWiG).
D. Vereinfachung der Beweisaufnahme
Wie sich aus den Vorschriften der §§ 77a, 78 OWiG ergibt, ist die Beweisaufnahme in Ordnungswidrigkeitenverfahren gegenüber dem Strafprozess vereinfacht. Die Vernehmung eines Zeugen, Sachverständigen oder Mitbetroffenen darf durch Verlesung von Niederschriften über eine frühere Vernehmung sowie von Urkunden, die eine von ihnen stammende schriftliche Äußerung enthalten, ersetzt werden. Erklärungen von Behörden und sonstigen Stellen über ihre dienstlichen Wahrnehmungen, Untersuchungen und Erkenntnisse sowie über diejenigen ihrer Angehörigen dürfen auch dann verlesen werden, wenn die Voraussetzungen des § 256 StPO nicht vorliegen, § 77a Abs. 2 OWiG. Das Gericht kann eine behördliche Erklärung nach Absa...