RVG §§ 15 Abs. 1, 18 Abs. 1 Nrn. 3 u. 13 RVG; Nr. 3309 VV; ZPO §§ 103 ff., 308 Abs. 1, 888
Leitsatz
1. Beantragt der Rechtsanwalt als Vertreter des Gläubigers nach Verhängung und Vollstreckung eines ersten Zwangsmittels gegen den Schuldner gem. § 888 ZPO ein weiteres Zwangsmittel, weil der Schuldner die nicht vertretbare Handlung (hier die Erteilung einer Auskunft) noch immer nicht vorgenommen hat, handelt es sich bei dem gesamten Verfahren auf Vornahme der Handlung um eine einzige gebührenrechtliche Angelegenheit. Die 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG fällt somit insgesamt nur einmal an.
2. Im Kostenfestsetzungsverfahren können ohne Verstoß gegen die Bindung an den Antrag gem. § 308 Abs. 1 S. 1 ZPO einzelne, nicht beantragte Positionen anstelle beantragter, aber unbegründeter Kostenpositionen, berücksichtigt werden.
(Leitsatz der Schriftleitung)
BGH, Beschl. v. 20.2.2020 – I ZB 68/19
Sachverhalt
Der Gläubiger betreibt seit Jahren gegen die Schuldner die Zwangsvollstreckung gem. § 888 ZPO aus einem rechtskräftigen Auskunftstitel. Auf Antrag des Gläubigers hat das Prozessgericht, das LG Kiel, durch Beschl. v. 27.1.2015 ein Zwangsgeld festgesetzt. Weitere Zwangsgelder hat das Prozessgericht am 15.7.2016 und am 27.10.2016 festgesetzt. Gegen sämtliche Entscheidungen hatte die Schuldnerin sofortige Beschwerden eingelegt, die zurückgewiesen wurden. In den sich anschließenden Kostenfestsetzungsverfahren hat der Rechtspfleger des Prozessgerichts zugunsten des Gläubigers jeweils eine 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG für das Verfahren erster Instanz und jeweils eine 0,5 Verfahrensgebühr nach Nr. 3500 VV RVG für das Beschwerdeverfahren, jeweils nebst Auslagen und Umsatzsteuer, festgesetzt.
Auf Antrag des Gläubigers vom 14.3.2017 setzte das LG Kiel durch Beschl. v. 28.8.2017 ein weiteres Zwangsgeld gegen die Schuldnerin in Höhe von 20.000 EUR fest. Außerdem legte das Gericht der Schuldnerin die Kosten des Verfahrens nach einem Streitwert von 800.000 EUR auf. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Schuldnerin wies das Beschwerdegericht auf Kosten der Schuldnerin nach einem Streitwert von 20.000 EUR zurück.
Der Rechtspfleger des LG Kiel setzte zugunsten des Gläubigers antragsgemäß eine 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG nach einem Gegenstandswert von 800.000 EUR und eine 0,5 Verfahrensgebühr nach Nr. 3500 VV RVG nach einem Gegenstandswert von 20.000 EUR, jeweils nebst Postentgeltpauschale und Umsetzsteuer, fest. Dabei hatte der Gläubiger allerdings die für das Beschwerdeverfahren beantragte 0,5 Verfahrensgebühr statt mit 371 EUR nur mit 222,60 EUR beziffert, was einer 0,3 Verfahrensgebühr entspricht.
Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Schuldnerin hat das Schleswig-Holsteinische OLG zurückgewiesen. Dies hat das OLG damit begründet, die Verfahren erster Instanz seien auch bei wiederholter Beantragung von Zwangsmitteln zur Erwirkung derselben Auskunftsverpflichtung jeweils eine besondere gebührenrechtliche Angelegenheit. Hinsichtlich der Beschwerdeverfahren ergebe sich dies ausdrücklich aus § 18 Abs. 1 Nr. 3 RVG. Die Rechtsbeschwerde hat das OLG deshalb zugelassen, weil die Auslegung des die Gebühren erster Instanz betreffenden § 18 Abs. 1 Nr. 13 RVG klärungsbedürftig sei.
Die hiergegen von der Schuldnerin eingelegte Rechtsbeschwerde hatte beim BGH teilweise Erfolg.
2 Aus den Gründen:
"…"
[10] 2. Soweit die Rechtsbeschwerde zulässig ist, hat sie in der Sache auch Erfolg. Dem Gläubiger steht entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts für den wiederholten Zwangsmittelantrag keine 0,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3309 VV RVG zu.
[11] a) Die Höhe der Vergütung für anwaltliche Tätigkeiten bestimmt sich gem. § 2 Abs. 2 S. 1 RVG nach dem VV der Anl. 1 zu diesem Gesetz. Gem. Nr. 3309 VV RVG beträgt die Verfahrensgebühr für die Zwangsvollstreckung 0,3. Diese Gebühr entgilt nach § 15 Abs. 1 RVG grundsätzlich die gesamte anwaltliche Tätigkeit vom Auftrag bis zur Erledigung der Angelegenheit. Dieser Vorschrift gehen allerdings die als besondere Angelegenheit geregelten Fälle des § 18 RVG als Sonderregelung vor (vgl. Toussaint in Hartmann/Toussaint, Kostenrecht, 49. Aufl., § 15 RVG Rn 6). Nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 RVG stellt jede Vollstreckungsmaßnahme zusammen mit den durch diese vorbereiteten weiteren Vollstreckungshandlungen bis zur Befriedigung des Gläubigers eine besondere Angelegenheit dar. Die weiteren Nummern behandeln besondere Vollstreckungsmaßnahmen (vgl. Rohn in Mayer/Kroiß, RVG, 7. Aufl., § 18 Rn 4). Nach § 18 Abs. 1 Nr. 13 RVG stellt das Verfahren zur Ausführung der Zwangsvollstreckung auf Vornahme einer Handlung durch Zwangsmittel (§ 888 ZPO) eine besondere Angelegenheit dar.
[12] b) Die Frage, ob die wiederholte Beantragung von Zwangsmitteln zur Erwirkung derselben nicht vertretbaren Handlung jeweils eine besondere Angelegenheit i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 13 RVG darstellt, ist höchstrichterlich noch nicht entschieden und im Schrifttum umstritten.
[13] aa) Nach der überwiegenden Meinung löst ein wiederholter Zwangsmittelantrag keine ...