BGB §§ 323 Abs. 5 S. 2, 326 Abs. 5, 434 Abs. 1; StVZO §§ 19 Abs. 2 S. 2 Nr. 2, 19 Abs. 5
Leitsatz
1) Nachträgliche Veränderungen eines Kfz – hier: Montage nicht zugelassener Felgen – führen nur dann zum Erlöschen der Betriebserlaubnis, wenn die nachtägliche Veränderung eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer erwarten lässt.
2) Die Setzung einer Frist zur Nacherfüllung ist nur dann entbehrlich, wenn beide Varianten der Nacherfüllung unmöglich sind.
3) Liegt ein Sachmangel aufgrund nachträglicher Veränderungen an dem Fahrzeug vor, hängt die Beurteilung als erhebliche oder unerhebliche Pflichtverletzung gem. § 323 Abs. 5 S. 2 BGB davon ab, ob die Voraussetzungen des § 19 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 StVZO eingreifen.
(Leitsätze der Schriftleitung)
BGH, Urt. v. 11.12.2019 – VIII ZR 361/18
Sachverhalt
Der Kl. schloss als Verbraucher mit dem beklagten Autohändler einen Kaufvertrag über einen fünf Jahre alten Pkw. In dem schriftlich gefassten Kaufvertrag befand sich folgender Zusatz:
Zitat
"inkl. 1 x Satz gebrauchter Winterräder auf Alufelgen (ABE (= Allgemeine Betriebserlaubnis) für Winterräder wird nachgereicht)."
Das Fahrzeug wurde noch am Tage des Vertragsschlusses (16.11.2016) dem Kl. nach Zahlung des Kaufpreises mit achtfacher Bereifung übergeben. Die Winterräder waren montiert. Die Felgen der Winterreifen stammten nicht vom Hersteller des Fahrzeugs. Sie waren lediglich mit einem BMW–Emblem versehen und für das verkaufte Fahrzeug nicht zugelassen.
Nachdem der Kl. im Juni 2017 feststellte, dass bei seinem Fahrzeug die hintere Federung nicht funktionierte, zeigte er dies den Bekl. an. Der angezeigte Mangel wurde von einem von ihm beauftragten Kfz-Meisterbetrieb mit einem Kostenaufwand von 981,45 EUR behoben. Der Bekl. lehnte die Erstattung dieser Kosten ab.
Bereits im Frühjahr 2017 war am Pkw des Kl. ein Defekt des Turboladers aufgetreten. Der Bekl. ersetzte den Turbolader. Der Kl. hielt die Nachbesserungsarbeit des Bekl. für nicht ordnungsgemäß und führte hierzu aus, der Bekl. habe einen leistungsstärkeren und älteren Turbolader eingebaut.
Nachdem eine außergerichtliche Einigung der Parteien fehlschlug, trat der Kl. von dem Kaufvertrag zurück. Mit der Klage hat der Kl. die Rückzahlung des Kaufpreises unter Abzug der Nutzungsentschädigung, die Erstattung der An- und Abmeldekosten und der Kosten für die Erneuerung der Luftfeder, die Feststellung des Annahmeverzuges des Bekl. und die Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten verfolgt. Nach Einreichung der Klage bei dem LG hat der Kl. dem Bekl. per E-Mail eine zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem LG bereits verstrichene Frist zur Aushändigung der Allgemeinen Betriebserlaubnis für die Felgen der Winterreifen gesetzt.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Nach Erlass des erstinstanzlichen Urt. hat der Kl. erneut den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt. Zur Begründung hat er sich darauf bezogen, dass der Bekl. die angeforderte Allgemeine Betriebserlaubnis nicht vorgelegt habe.
Die Berufung des Kl. hatte keinen Erfolg. Die Revision des Kl. führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung.
2 Aus den Gründen:
"…"
[30] aa) Zwar führt das Fehlen einer Allgemeinen Betriebserlaubnis (§ 20 StVZO) bezüglich der Felgen (vgl. § 22 StVZO), für die – was im Revisionsverfahren mangels gegenteiliger Feststellungen des BG zu unterstellen ist – auch eine Einzelbetriebserlaubnis nach §§ 21, 22 Abs. 2 S. 4 StVZO oder ein Nachtrag zur Betriebserlaubnis des Fahrzeugs (§ 22 Abs. 3, § 19 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. b StVZO) nicht vorlagen, nicht ohne Weiteres dazu, dass gemäß § 19 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 StVZO die Betriebserlaubnis für das Fahrzeug erlischt. Vielmehr setzt dies voraus; dass die – mit der Nutzung nicht zugelassener Felgen für die Winterräder verbundene – nachträgliche Veränderung mit einem gewissen Grad an Wahrscheinlichkeit eine Gefährdung für andere Verkehrsteilnehmer verursacht (vgl. VGH Baden-Württemberg – Urt. v. 31.5.2011 – 10 S 1857/09, juris Rn 27, 29 [zur Umrüstung eines Motorrads mit Carbonrädern]; KG, Urt. v. 27.3.1998 – 2 Ss 341/97 – 3 Ws (B) 76/98, juris Rn 7, 9).
[31] Ausweislich der Gesetzesmaterialien ist weder die Veränderung von Fahrzeugteilen, deren Beschaffenheit vorgeschrieben ist, noch die bloße Möglichkeit einer Gefährdung ausreichend, um die Betriebserlaubnis gemäß § 19 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 StVZO erlöschen zu lassen (BR-Drucks, 629/93, S. 17; VGH Baden-Württemberg, a.a.O. Rn 31; vgl. auch KG, a.a.O.). Dem steht der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entgegen (BR-Drucks a.a.O.). Erforderlich ist daher, dass durch die nachträgliche Veränderung mit einem gewissen Grad an Wahrscheinlichkeit eine Gefährdung für andere Verkehrsteilnehmer geschaffen wird (VGH Baden-Württemberg, a.a.O.; OLG Köln, NZV 1997, 283, 284; KG, a.a.O. Rn 9; OLG Düsseldorf, NZV 1996, 40, 41). Dabei lässt sich das Maß der für ein Erlöschen der Betriebserlaubnis erforderlichen Gefahr nicht abstrakt und absolut bestimmen. Denn der zu fordernde Wahrscheinlichkeitsgrad hängt von der Bedeutung der gefährdeten Rechtsgüter und dem Ausmaß des mögliche...