BGB § 823 Abs. 1, GG Art. 103 Abs. 1; ZPO §§ 142, 286, 445
Leitsatz
1) Parteien dürfen sich im Rechtsstreit auch auf nur vermutete Tatsachen stützen, wenn sie mangels Sachkunde und Einblick in die Produktionsabläufe eines möglichen Störers keine sichere Kenntnis von Produktionsabläufen haben.
2) In der beantragten Vernehmung des Geschäftsführers der Bekl. liegt kein versuchter Ausforschungsbeweis des Kl., der damit mit einem nicht von vornherein ungeeigneten Beweismittel den Wahrheitsbeweis für seine Behauptung zu erbringen versucht.
3) Trägt der Kl. Tatsachen vor, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person des Kl. entstanden erscheinen zu lassen, ist das Gericht gehalten, diesen Vortrag zur Kenntnis zu nehmen und die hierzu angebotenen Beweise zu erheben. Ein Verstoß gegen diese Verpflichtung stellt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar.
4) Eine Vorlageanordnung nach § 142 ZPO setzt keinen materiellrechtlichen Auskunft- und Herausgabeanspruch voraus.
(Leitsätze der Schriftleitung)
BGH, Beschl. v. 26.3.2019 – VI ZR 263/17
Sachverhalt
Der Kl. nimmt die Bekl. auf Schadensersatz wegen behaupteter Gesundheitsschädigung durch den Betrieb der Bekl. in Anspruch. Der auf einem Bauhof beschäftigte Kl. litt seit 2011 an dauernden Atembeschwerden, die sich in wiederholten Hustenanfällen, Druckgefühl im Hals und weißlichem Auswurf äußerten. Die Untersuchung ergab, dass der Kl. an einer Berylliose litt, die auf eine Exposition mit Beryllium zurückzuführen sei.
Der Kl. macht den in räumlicher Nähe zu dem Bauhof befindlichen Betrieb der Bekl. als Ursache seiner Beschwerden verantwortlich. In dem Betrieb der Bekl. werden Maschinen zu Holzbearbeitung, insbesondere zum Einsatz in Sägewerken gefertigt. Der Kl. hat behauptet, dass die Bekl. in dem Produktionsprozess berylliumhaltiges Material oder Werkstoffe verwende.
In den Jahren 2010 und 2011 sei es wiederholt zu vier weiteren Staubemissionen aus dem Betrieb der Bekl. gekommen, die auf den in der Emissionsrichtung gelegenen Bauhof eingewirkt hätten. Dadurch sei nicht nur er erkrankt, sondern auch vier weitere Beschäftigte des Bauhofs seien an einer Berylliumsensibilisierung erkrankt.
Der Kl. hat beantragt, zum Beweis seiner Ausführungen sich auf die Parteivernehmung des Geschäftsführers der Bekl., die Vernehmung von Zeugen und die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu beziehen. Da die Bekl. bestritten hat, Beryllium bei der Produktion in ihrem Betrieb zu verwenden, hat der Kl. beantragt, im Wege einer Anordnung nach § 142 ZPO der Bekl. aufzugeben, ihre Materialeinkaufslisten vorzulegen.
Das LG hat die Klage ohne Beweiserhebung abgewiesen. Die Berufung des Kl. wurde von dem OLG zurückgewiesen. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Kl. war erfolgreich.
2 Aus den Gründen:
"…"
[5] Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urt. und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das BG.
[6] 1. Zur Begründung führt das BG aus, der Kl. habe keinen schlüssigen Sachverhalt vorgetragen, dessen Vorliegen man mittels der angebotenen Beweismittel klären könne. Die Beweise seien nicht zu erheben, weil eine solche Beweiserhebung mangels konkreten Vortrags eine Ausforschung darstelle.
[7] Obwohl der Kl. als Außenstehender die Betriebsabläufe der Bekl. nicht kennen und deshalb dazu aus eigener Kenntnis nicht vortragen könne, bleibe er verpflichtet, konkrete Tatsachen vorzutragen und hierfür Beweis anzubieten. Dies gelte insbesondere, weil die Bekl. im Laufe des Rechtsstreits ihrer sekundären Darlegungslast nachgekommen sei, wonach sie für die Fertigung ihrer Sägewerksanlagen handelsübliche Stähle kaufe und verwende, keine Galvanisierungsanlage habe, keine Metallveredelung durchführe, sich nicht mit Gießen, Sintern, Galvanisieren und Nitrieren befasse, die Endlackierung der Anlagen mittels handelsüblicher Grundierung und Endlacke durchführe, die kein Beryllium enthielten, geschweige denn freisetzten, nicht Kupfer oder Nickel legiere, keine Punktschweißverfahren anwende sowie elektronische Bauelemente und Geräte durch Fachfirmen entsorge. Damit sei die Bekl. ihrer sekundären Darlegungslast nachgekommen, ohne dass es dem Kl. gelungen sei, nähere Behauptungen aufzustellen. Ohne diese Präzisierung stelle die Vernehmung des vom Kl. benannten Zeugen F. oder die Parteivernehmung des Geschäftsführers der Bekl. eine unzulässige Ausforschung dar.
[8] Der Kl. habe auch nur eine unzureichende Indizienkette vorgebracht, die nicht ausreichend auf die Bekl. als Verursacherin schließen lasse. Für die Einholung eines Sachverständigengutachtens fehle es an den nötigen Anknüpfungstatsachen. Ein Sachverständiger habe die Aufgabe, das Gericht bei der Auswertung vorgegebener Tatsachen zu unterstützen, nicht hingegen, erst nach Anknüpfungstatsachen zu suchen.
[9] Die Vorlage der Materialeinkaufslisten könne das Gericht nicht anordnen, weil § 142 Abs. 1 i.V.m. § 422 ZPO voraussetze, dass der Beweisführer nach bürgerlichem Recht einen ...