StGB § 69 § 69a § 315d Abs. 1 Nr. 2, 3
Leitsatz
Eine Flucht mit dem Pkw, um der Verfolgung durch einen verfolgenden Funkstreifenwagen zu entkommen (so genannte Polizeiflucht), kann den Tatbestand der Teilnahme an einem nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennen im Sinne des § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllen.
LG Osnabrück, Urt. v. 22.2.2021 – 13 Ns/320 Js 19536/20 – 16/20
Sachverhalt
Der Angeklagte befuhr mit seinem Pkw VW Polo (Motorleistung 37 kW/50 PS, bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit 151 km/h) eine Straße in der Ortsmitte der Gemeinde und wurde von einem entgegenkommenden Funkstreifenwagen beobachtet. Wegen seiner auffälligen Fahrweise entschlossen sich die Beamten zu einer Kontrolle und wendeten ihr Fahrzeug. Der Angeklagte war der Ansicht, dass die Polizeibeamten ihn kontrollieren wollten, weshalb er Gas gab, um den Polizeibeamten zu entkommen. Denn er hatte, nachdem er einige Tage zuvor in eine Verkehrskontrolle geraten war, mit einem seiner "Kumpel" gewettet, dass er nicht noch einmal von der Polizei angehalten werde. Der Angeklagte konnte sich durch Überschreiten der innerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit mit Erfolg den ihn verfolgenden Beamten entziehen, wobei die Polizeibeamten in dem Bereich ca. 80 km/h fuhren, ohne dass ein Aufschließen auf den vorausfahrenden Pkw möglich war. Ein Aufschließen war auch danach nicht möglich, obwohl der Funkstreifenwagen bei eingeschaltetem Martinshorn und blauem Rundumlicht laut dessen Tachometer in der Spitze auf bis zu 130 km/h beschleunigt wurde.
Der Angeklagte bog mit seinem Pkw mehrmals ab, aber ohne weitere Auffälligkeiten wie Wegrutschen oder "quietschende" Reifen. Kurz vor dem letzten Abbiegemanöver war der Angeklagte an der Passantin K. mit einem Abstand von mindestens 50 cm zur Bordsteinkante vorbeigefahren, wobei sich die Passantin zu diesem Zeitpunkt mit ihrem Hund an ihrer linken Seite auf dem Bürgersteig befand.
Das AG hat den Angeklagten des verbotenen Kraftfahrzeugrennens in Tateinheit mit fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs schuldig gesprochen. Das LG Osnabrück hat auf die Berufung des Angeklagten das Urteil des AG aufgehoben und den Angeklagten der Teilnahme an einem verbotenen Kraftfahrzeugrennen schuldig gesprochen. Ihm wurde eine Arbeitsauflage erteilt und es wurden Maßregeln nach §§ 69, 69a StGB angeordnet.
2 Aus den Gründen:
"… III. 1. Die Fahrt des Angeklagten im Ortskern im Bereich der Straßen (…) und S.-Straße stellt sich nicht als verbotenes Kraftfahrzeugrennen i.S.d. § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB dar, der tatbestandlich voraussetzt, dass sich der Kraftfahrzeugführer mit nicht angepasster Geschwindigkeit und grob verkehrswidrig und rücksichtslos fortbewegt, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen. Denn diese Tatbestandsvariante erfasst nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 18/12964, S. 5) diejenigen Fälle, in denen nur ein einziges Fahrzeug objektiv und subjektiv ein Kraftfahrzeugrennen nachstellt. Hier ist es jedoch so, dass sich der Angeklagte und die ihn verfolgenden Polizeibeamten tatsächlich unter Beteiligung zweier Fahrzeuge ein Rennen lieferten, nämlich durch seine Flucht bei gleichzeitiger Verfolgung durch die Polizei."
Diese Fälle der sogenannten Polizeiflucht erfüllen nach Auffassung der Kammer die Tatbestandsvariante der Teilnahme an einem nicht erlaubten Kraftfahrzeugrennen i.S.d. § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB. Denn die Polizeiflucht ist – wie in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt ist, ohne allerdings die Konsequenz der Anwendung des § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB in diesen Fällen zu ziehen – als Wettbewerb oder Leistungsprüfung einzustufen (OLG Stuttgart, Beschl. v. 4.7.2019 – 4 Rv 28 Ss 103/19, Rn 12, juris). Sie ist von einem spezifischen Renncharakter geprägt, in dem sich gerade die in der Gesetzesbegründung genannten besonderen Risiken wiederfinden, auch wenn das Ziel des Wettbewerbs hier nicht im bloßen Sieg, sondern in der gelungenen Flucht liegt. Die risikobezogene Vergleichbarkeit mit den sportlichen Wettbewerben liegt dabei auf der Hand (OLG Stuttgart, a.a.O., Rn 15, juris; zustimmend OLG Köln, Urt. v. 5.5.2020 – III-1 RVs 45/20, Rn 21, juris).
An diesem Rennen hat der Angeklagte auch teilgenommen, weil eine Teilnahme nicht eine vorherige Absprache oder Organisation oder eine bestimmte gefahrene Strecke erfordert (vgl. OLG Hamburg, Beschl. v. 13.3.2018 – 5 RB 2/18, BeckRS 2018, 13170, Rn 4). Sie ist nicht im Sinne der Bestimmungen des Allgemeinen Teils des StGB – etwa im Sinne von Anstiftung oder Beihilfe – auszulegen. Erfasst ist vielmehr jede “Tätigkeit derjenigen Kraftfahrzeugführenden, die untereinander den Geschwindigkeitswettbewerb austragen' (BT-Drucks, a.a.O. S. 5).
Der Wortlaut der Strafvorschrift, die auf die Erfassung aller denkbaren Ausprägungen eines Kraftfahrzeugrennens abzielt (BT-Drucks a.a.O., S. 6), fordert hierbei nicht, dass alle Teilnehmer unerlaubt handeln. Vielmehr erhält die Tat ihr rechtswidriges Gepräge bereits durch das rechtswidrige Handeln des Angeklagten, der sich unter Überschreitung der erlaubten Höchstgeschwindi...