BGB § 249 Abs. 2 S. 1 § 254 Abs. 2 S. 1; StVG § 7 Abs. 1
Leitsatz
Der Geschädigte eines Verkehrsunfalls ist grundsätzlich nicht verpflichtet, den eigenen Kaskoversicherer auf Behebung des Unfallschadens in Anspruch zu nehmen, um die Zeit des Nutzungsausfalls und damit die Höhe der diesbezüglichen Ersatzverpflichtung des Schädigers und dessen Haftpflichtversicherers möglichst gering zu halten.
BGH, Urt. v. 17.11.2020 – VI ZR 569/19
Sachverhalt
Die Kl. nahm den beklagten Haftpflichtversicherer auf Ersatz weiteren Nutzungsausfallschadens nach einem Verkehrsunfall in Anspruch.
Der vollkaskoversicherte Pkw der Kl. wurde am 16.2.2017 bei einem Verkehrsunfall beschädigt. Die Bekl. war als Haftpflichtversicherer des Unfallgegners dem Grunde nach voll einstandspflichtig. Die Kl. erteilte noch am Unfalltag den Auftrag zur Erstellung eines Schadensgutachtens; das Gutachten lag am Folgetag vor. Mit Anwaltsschreiben v. 20.2.2017 meldete die Kl. ihre Ansprüche bei der Bekl. an, zugleich und erneut mit weiterem Schreiben v. 6.3.2017 wies sie die Bekl. darauf hin, aufgrund ihrer finanziellen Verhältnisse nicht in der Lage zu sein, die Kosten für die notwendige Reparatur ihres bei dem Unfall beschädigten Fahrzeugs vorzufinanzieren. Ebenfalls am 6.3.2017 forderte die Kl. ihren Kaskoversicherer zur Regulierung auf. Am 20.3.2017 erteilte die Kl. den Reparaturauftrag; ihr Fahrzeug wurde daraufhin vom 20. bis zum 29.3.2017 repariert. Im Rahmen der vorgerichtlichen Regulierung des Unfallschadens erstattete die Bekl. der Kl. einen Nutzungsausfallschaden für 15 Tage (zehn Tage Reparaturdauer zuzüglich zwei Tage für die Beauftragung und Erstellung des Gutachtens zuzüglich drei Tage Überlegungsfrist). Mit ihrer Klage begehrt die Kl., soweit im Revisionsverfahren noch relevant, den Ersatz von Nutzungsausfallschaden für weitere 27 Tage (Gesamtzeitraum 16.2. bis 29.3.2017 = 42 Tage abzüglich regulierter 15 Tage) zu je 43 EUR.
Das AG hat die Klage insoweit ab-, das LG die Berufung der Kl. zurückgewiesen. Der Kl., so führte das LG aus, stehe kein weitergehender Zahlungsanspruch zu, weil sie gegen ihre Obliegenheit verstoßen habe, den zu ersetzenden Schaden durch geeignete Maßnahmen möglichst gering zu halten (§ 254 Abs. 2 BGB). Zwar habe die Kl. die Bekl. mit Schreiben v. 20.2.2017 und 6.3.2017 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie aufgrund ihrer finanziellen Verhältnisse nicht in der Lage gewesen sei, die Kosten für die notwendige Reparatur ihres bei dem Unfall beschädigten Fahrzeugs vorzufinanzieren, auch nicht über eine Kreditaufnahme. Doch habe es der Kl. oblegen, ihre Kaskoversicherung nicht erst nach Ablauf der an die Bekl. gerichteten Frist zur Regulierung am 6.3.2017, sondern bereits nach Erstellung des Schadensgutachtens zur Regulierung aufzufordern. Die Kaskoversicherung habe dann nach einer Prüfzeit von drei Tagen die Regulierung durchführen oder ablehnen müssen. Es stehe dem Geschädigten eines Verkehrsunfalls nicht frei, von einer Inanspruchnahme der Vollkaskoversicherung abzusehen. Er müsse vielmehr so handeln, wie er im eigenen wohlverstandenen Interesse handeln würde, wenn keine Ersatzmöglichkeit bei einem Dritten in Rede stünde.
Mit der vom BG zugelassenen Revision verfolgte die Kl. ihr Zahlungsbegehren weiter. Der BGH hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen.
2 Aus den Gründen:
"… II."
[5] Die Revision hat Erfolg. Mit der Begründung des BG lässt sich ein Ersatzanspruch der Kl. aus § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG i.V.m. § 1 PflVG, § 7 Abs. 1 StVG, § 249 Abs. 2 S. 1 BGB nicht verneinen.
[6] 1. Im Ausgangspunkt zutreffend hat das BG allerdings angenommen, dass der Geschädigte eines Verkehrsunfallgeschehens im Rahmen der ihm gem. § 254 Abs. 2 S. 1 letzter Hs. BGB obliegenden Schadensminderungspflicht grds. gehalten ist, den zu ersetzenden Schaden möglichst gering zu halten (vgl. Senatsurt. v. 24.6.1986 – VI ZR 222/85, NJW 1986, 2945, 2946, juris Rn 10: Mietwagenmehrkosten infolge verspäteter Reparaturauftragserteilung). Eine generelle, von den Umständen des Einzelfalls losgelöste Obliegenheit des Geschädigten, die Wiederherstellung im Interesse des Schädigers an der Geringhaltung der Kosten möglichst zeitnah nach dem schädigenden Ereignis vorzunehmen und damit vorzufinanzieren, lässt sich daraus aber nicht herleiten (vgl. Senatsurt. v. 18.2.2020 – VI ZR 115/19, NJW 2020, 1795 Rn 15).
[7] a) Die Vorschrift des § 254 Abs. 2 S. 1 letzter Hs. BGB setzt voraus, dass es der Geschädigte schuldhaft unterlassen hat, den Schaden abzuwenden oder zu mindern. Dieses Verschulden bedeutet nicht die vorwerfbare Verletzung einer gegenüber einem anderen bestehenden Leistungspflicht, sondern ein Verschulden gegen sich selbst, also die Verletzung einer im eigenen Interesse bestehenden Obliegenheit. Von der Verletzung einer Obliegenheit kann nur ausgegangen werden, wenn der Geschädigte unter Verstoß gegen Treu und Glauben diejenigen Maßnahmen unterlässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch an der Stelle des Geschäd...