ZPO § 66 Abs. 1 § 71 Abs. 2; VVG § 103
Leitsatz
1. Ein Haftpflichtversicherer hat ein rechtliches Interesse am Obsiegen des Anspruchstellers, wenn dieser Ansprüche gegen den VN mit der Begründung geltend macht, dieser habe den Schaden vorsätzlich verursacht.
2. In diesem Fall ist der Haftpflichtversicherer nicht durch versicherungsvertragliche Treue – und Rücksichtnahmepflichten an einem Streitbeitritt auf Seiten des Anspruchstellers gehindert (entgegen OLG München, Urt. v. 5.2.2009 – 1 U 1984/08, VersR 2009, 822).
OLG Nürnberg, Beschl. v. 11.4.2022 – 5 W 2855/20
Sachverhalt
Das Beschwerdeverfahren betrifft die Zulässigkeit der Nebenintervention der Haftpflichtversicherung des Bekl. auf Seiten des Kl.
Der Kl. nimmt den Bekl. aus einem Verkehrsunfall vom 4.6.2019 auf Schadensersatz in Anspruch; der Kl. war als Fahrer eines Rennrades auf der Bundesstraße 25 in mit dem vom Bekl. geführten und bei der Nebenintervenientin haftpflichtversicherten Pkw unmittelbar nach Ausfahrt aus einem Kreisverkehr kollidiert und hierdurch gestürzt, wodurch er erheblich verletzt wurde. Die Einzelheiten des Unfallgeschehens sind streitig; während der Bekl. behauptet, zu der Kollision sei es gekommen, weil der Kl., als er vom Bekl. überholt wurde, eine Linksbewegung ausgeführt habe, macht der Kl. geltend, der Bekl. habe ihn vorsätzlich von hinten angefahren, und zwar aus Verärgerung über das vorherige Fahrverhalten des Kl.; dieser habe nämlich den Bekl. bei der Einfahrt in den Kreisverkehr überholt.
Die Nebenintervenientin geht von einer vorsätzlichen Herbeiführung des Unfalles durch ihren VN, den Bekl., aus und hat ihm deshalb die Deckung verweigert. Der Bekl. hat dem widersprochen und seinerseits der Nebenintervenientin den Streit verkündet, verbunden mit der Aufforderung, dem Rechtsstreit auf Seiten des Bekl. beizutreten.
Das LG hat mit Zwischenurteil vom 20.7.2020 die Nebenintervention zurückgewiesen.
2 Aus den Gründen:
Die sofortige Beschwerde hat Erfolg; die Nebenintervention ist zuzulassen.
Nach § 66 Abs. 1 ZPO kann, wer ein rechtliches Interesse daran hat, dass in einem zwischen anderen Personen anhängigen Rechtsstreit die eine Partei obsiege, dieser Partei zum Zweck ihrer Unterstützung beitreten. Ein rechtliches Interesse ist zu bejahen, wenn die Entscheidung des Hauptprozesses durch Inhalt oder Vollstreckung mittelbar oder unmittelbar auf die privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Verhältnisse des Nebenintervenienten rechtlich einwirkt (BGH NJW 2016, 1018). Der Sieg der zu unterstützenden Partei muss dem Nebenintervenienten einen Vorteil bringen; dass das Unterliegen der Hauptpartei dem Nebenintervenienten nicht – spiegelbildlich – nachteilig ist, steht der Annahme eines rechtlichen Interesses nicht entgegen (Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl., Rn 5 zu § 66 ZPO). Eine "freundliche Gesinnung" im Bezug auf die Hauptpartei ist entgegen der Auffassung des LG weder erforderlich noch zur Begründung eines rechtlichen Interesses ausreichend.
Der Dritte kann auch am Obsiegen jeder der beiden Parteien ein Interesse haben, wenn nämlich in Bezug auf beide Parteien die Voraussetzungen des § 66 ZPO vorliegen; in diesem Falle hat er ein Wahlrecht, welcher Partei er beitritt (MüKo ZPO, 6. Aufl. Rn 19 zu § 66 ZPO), auf dessen Ausübung die Streitverkündung eine Partei ohne Einfluss ist (RGZ 130, 297); die Nebenintervenientin war also durch die Streitverkündung seitens des Bekl. nicht gehindert, den Beitritt auf Seiten der Gegenpartei zu erklären, abgesehen davon, dass sie diesen Beitritt bereits zuvor erklärt hatte. Im Streitfall waren die Voraussetzungen eines Beitritts sowohl auf Seiten des Bekl. wie auf Seiten des Kl. gegeben.
Ein Obsiegen des Bekl. im Haftungsprozess, weil die Voraussetzungen einer Haftung nicht vorlägen, hätte aufgrund der Bindungswirkung der Feststellungen im Haftungsprozess für den Deckungsprozess eine der Nebenintervenientin günstige Auswirkung. Umgekehrt wäre die Bejahung der Schadensersatzpflicht des Bekl. im Haftungsprozess für die Nebenintervenientin nachteilig, weil sie die Haftung ihres VN im Deckungsprozess aufgrund der Bindungswirkung nicht mehr in Frage stellen könnte. Daher wird ein rechtliches Interesse am Ausgang des Haftpflichtprozesses, das den Haftpflichtversicherer zum Streitbeitritt – auf Seiten des VN – berechtigt, allgemein bejaht (siehe etwa OLG Hamm ZIP 2020, 1371). Gilt dies bereits für den Privathaftpflichtversicherer, so erst recht für den Kfz-Haftpflichtversicherer, denn für diesen sieht § 124 Abs. 1 VVG eine Rechtskrafterstreckung für den Fall eines klageabweisenden Urteils im Haftungsprozess vor. Im Streitfall ergäbe sich ein rechtliches Interesse am Beitritt auf Seiten des Bekl. auch aus der durch die Streitverkündung seitens des Bekl. ausgelösten Interventionswirkung (OLG Frankfurt VersR 2016, 1010).
Ein Haftpflichtversicherer kann aber auch ein rechtliches Interesse am Obsiegen des Gegners seines VN haben. Nach § 103 VVG ist er nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der VN vorsätzlich und widerrechtlich den bei dem Dritten eingetretenen...