II. Hierbei hat das AG die prozessrechtlichen Beweislastgrundsätze verletzt …
Zwar geht das AG korrekt davon aus, dass hinsichtlich des Wegfalls gefahrerhöhender
Umstände gemäß § 41 VVG die primäre Darlegungslast und Beweislast den Kl. trifft. Dieser primären Darlegungslast hat der Kl. jedoch bereits genügt:
Der Kl. hat hinreichend dargetan, dass er aufgrund der Cholesterin- und Harnsäurewerte aus der Blutuntersuchung vom 21.2.2022 … und der daran anknüpfenden Stellungnahme seines Hausarztes davon ausgeht, dass sämtliche Risikofaktoren im Rahmen der prognostischen Bemessung der Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Versicherungsfalls oder des Umfangs der Behandlungskosten dauerhaft weggefallen sind und daher eine Herabsetzung des Risikozuschlags gemäß § 41 VVG auf Null vorzunehmen ist.
Auch die Bekl. geht ausweislich ihrer auf die o.g. Blutwerte gestützten Herabsetzung des Risikozuschlags vom 17.3.2022 rückwirkend zum 1.1.2022 von zuletzt 147 EUR auf 77,19 EUR davon aus, dass zumindest dem Grunde nach eine Herabsetzung des Risikozuschlags veranlasst war. Damit liegt (ausnahmsweise) eine hinreichende Indizienlage vor, die die Überprüfung der materiellen Anwendung des § 41 VVG durch die Bekl. durch eine gerichtliche Beweisaufnahme rechtfertigt, ohne einen – vom AG irrtümlich angenommenen – "Ausforschungsbeweis" darzustellen (vgl. BGH, NJW 2021, 3721, 3722 f.). Ein weitergehender Vortrag ist dem Kl. nicht möglich, da er außerhalb der versicherungsinternen Kalkulation der Risikozuschlagsherabsetzung steht. Entgegen der Ansicht des AG ist die Konsequenz hieraus nicht eine (Darlegungs- oder) Beweisfälligkeit des Kl., sondern die Aktivierung einer sekundären Darlegungslast der Bekl. (Prölss/Martin/Reiff, 31. Aufl. 2021, VVG § 41 Rn 14; OLG Karlsruhe r+s 2011, 303): Es lag nunmehr an der Bekl., den durch sie genannten Betrag von "ausgerechnet" 77,19 EUR schlüssig herzuleiten. Dieser sekundären Darlegungslast hat die Bekl, nicht genügt:
Die von der Bekl. angebotene und in der öffentlichen Sitzung vom 14.2,2023 vernommene, im Kundendienstzentrum der Bekl. tätige Zeugin … konnte ihrerseits nur auf Richtlinien zur Handhabung von Blutwerten verweisen, aber keine konkreten Angaben zu deren Inhalt machen. Diese Richtlinien oder sonstige Unterlagen zu den angewandten Prämienberechnungssystemen der Bekl. hat die Bekl. trotz bereits gemäß §§ 525, 142 Abs. 1 ZPO in Ziffer 3.2 der Verfügung vom 4.1.2023 … erfolgter Anordnung und einer der öffentlichen Sitzung vom 14.2.2023 nachfolgenden Nachfristsetzung durch das Gericht … nicht vorgelegt (vgl. Reiff in Prölss/Martin, VVG § 31 VVG Rn 13). Die mit Schriftsatz vom 28.2.2023 durch die Bekl. eingereichten Unterlagen … sind zur Herleitung eines bestimmten Risikokalkulationsergebnisses ungeeignet: Auf den "nach Risikoprüfung festgelegten Prozentsatz" – der gerade Gegenstand der beantragten gerichtlichen Beweisaufnahme sein sollte – nimmt die Anlage … lediglich Bezug und bestimmt dessen Multiplikation mit dem Faktor 2 bzw. Behandlung bei Umtarifierung; die Anlage … stellt eine bloße tabellarische Übersicht der "Entwicklung [des] Beitragszuschlag[s]" dar.
So war dem BG eine vom Kl. beantragte und nach den obigen Ausführungen veranlasste Beweisaufnahme in Gestalt der Überprüfung der Risikokalkulation der Bekl. durch einen gerichtlich beauftragten Sachverständigen unmöglich. Dies geht nach dem Rechtsgedanken der §§ 427, 441 Abs. 3, 444, 446, 453 Abs. 2, 454 Abs. 1 ZPO zu Lasten der Bekl.; hierauf wurde die Bekl. mit Beschl. v. 14.2.2023 … ausdrücklich hingewiesen. Hiernach legt das Gericht gemäß § 286 ZPO zugrunde, dass die Beweisaufnahme gemäß der klägerischen Darstellung ergeben hätte, dass die vollständige Herabsetzung des Beitragszuschlags auf Null ab dem 21.4.2022 veranlasst war (… Zivilprozessordnung, § 286 Rn 14a m.w.N.).
zfs 7/2023, S. 398 - 399