RVG § 10 Abs. 1 Satz 1
Leitsatz
Ein Rechtsanwalt ist auch nach seinem Ausscheiden aus der Anwaltschaft berechtigt und verpflichtet, zur Einforderung seiner Vergütung außerhalb eines Kostenfestsetzungsverfahrens entsprechende Berechnungen zu unterzeichnen und den Auftraggebern mitzuteilen, wenn ein Abwickler nicht bestellt oder der bestellte Abwickler insoweit nicht tätig geworden ist. (Fortführung von BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 85/03, WM 2004, 2222, 2223 = AGS 2004, 343 m. Anm. Madert = RVGreport 2004, 273 (Hansens)).
BGH, Versäumnisurt. v. 16.2.2023 – IX ZR 189/21
1 Sachverhalt
Die L. GbR hatte den Rechtsanwalt im Jahr 2013 mit mehreren Rechtsanwaltsdienstleistungen beauftragt, die dieser im selben Jahr erbracht hatte. Mit Wirkung vom 9.6.2015 war der Rechtsanwalt aus der Anwaltschaft ausgeschieden. Für die gegenüber der L. GbR erbrachten Leistungen erstellte der Rechtsanwalt am 28.12.2015 zwei Rechnungen und am 27.12.2016 17 weitere Rechnungen. Auf den Rechnungen vom 28.12.2015 war seiner Unterschrift maschinenschriftlich der Zusatz "Rechtsanwalt" angefügt. Die Rechnungen vom 27.12.2016 enthielten diesen Zusatz nicht.
Am 31.12.2015 hat der Kläger hinsichtlich der Rechnungen aus dem Jahr 2015 allein gegen die L. GbR und am 31.12.2016 bezüglich der übrigen Rechnungen Mahnbescheide beantragt und die L. GbR sowie gesamtschuldnerisch u.a. den Beklagten, den er auf Zahlung vor dem LG Kassel verklagt hatte, in Anspruch genommen. Das Mahngericht hat die Mahnbescheide antragsgemäß erlassen und der L. GbR zugestellt.
Mit seiner vor dem LG Kassel erhobenen Klage hat der Rechtsanwalt die Honorare, die er der L. GbR in den vorstehend erwähnten Rechnungen aufgeführt hat, in Höhe von insgesamt 95.406,89 EUR gegen den Beklagten, der ein Gesellschafter der L. GbR ist, geltend gemacht. Das LG hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Rechtsanwalts hatte vor dem OLG Frankfurt keinen Erfolg. Das OLG hat die Berufungszurückweisung damit begründet, dem Kläger stehe der geltend gemachte Honoraranspruch gegen den Beklagten deshalb nicht zu, weil er seiner Mandantschaft keine ordnungsgemäße Abrechnung der Vergütung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 RVG vorgelegt habe. Deshalb seien die streitigen Vergütungsansprüche nicht einforderbar. Nach Auffassung des OLG Frankfurt war der Kläger infolge der Beendigung seiner Zulassung als Rechtsanwalt nicht mehr zur wirksamen Unterzeichnung der verfahrensgegenständlichen Vergütungsberechnungen in der Lage gewesen.
Die hiergegen eingelegte vom OLG zugelassene Revision hatte beim BGH Erfolg.
2 Aus den Gründen:
[4] … "Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die Entscheidung hat infolge der Säumnis des Beklagten durch Versäumnisurteil zu ergehen, beruht aber inhaltlich auf einer Sachprüfung (vgl. BGH, Urt. v. 4.4.1962 – V ZR 110/60, BGHZ 37, 79, 81 f).
[5] I. Das Berufungsgericht hat unter Bezugnahme auf seinen Hinweisbeschluss angenommen, dem Kläger stehe der geltend gemachte Honoraranspruch gegen den Beklagten nicht zu, weil er seiner Mandantschaft keine ordnungsgemäße Abrechnung der Vergütung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 RVG vorgelegt habe und damit die streitigen Vergütungsansprüche schon nicht einforderbar seien. Die mit der Unterzeichnung der Gebührenrechnungen bezweckte Übernahme der strafrechtlichen, zivilrechtlichen und standesrechtlichen Verantwortung erfordere es, dass der Unterzeichner zur Rechtsanwaltschaft zugelassen sei. Infolge der Beendigung seiner Zulassung sei der Kläger nicht mehr zur wirksamen Unterzeichnung der hier interessierenden Gebührenrechnungen als Rechtsanwalt in der Lage gewesen.
[6] II. Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten rechtlicher Prüfung nicht stand.
[7] 1. Der Senat hat zu § 18 Abs. 1 Satz 1 BRAGO entschieden, dass der ehemalige Rechtsanwalt als Gläubiger seiner Vergütungsansprüche auch nach dem Ausscheiden aus der Anwaltschaft berechtigt und verpflichtet ist, zur Einforderung dieser Ansprüche außerhalb eines Kostenfestsetzungsverfahrens entsprechende Berechnungen zu unterzeichnen und den Auftraggebern mitzuteilen, wenn der bestellte Abwickler insoweit nicht tätig geworden ist (BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 85/03, WM 2004, 2222, 2223 = AGS 2004, 343 m. Anm. Madert = RVGreport 2004, 273 (Hansens); ebenso Bischof in Bischof/Jungbauer/Bräuer/Hellstab/Klipstein/Klüsener/Kerber, RVG, 9. Aufl., § 10 Rn 17; Mayer/Kroiß, RVG, 8. Aufl., § 10 Rn 10; Toussaint, Kostenrecht, 52. Aufl., § 10 RVG Rn 11; Weyland/Nöker, BRAO, 10. Aufl., § 55 Rn 45b; Vill/D. Fischer in Handbuch der Anwaltshaftung, 5. Aufl., § 2 Rn 418). Ob vorliegend überhaupt ein Abwickler bestellt worden war, haben die Vorinstanzen nicht festgestellt, allerdings ist in Bezug auf die hier eingeforderten Gebühren allein der Kläger tätig geworden.
[8] 2. An dieser Rechtslage hat sich durch Inkrafttreten des RVG gemäß Art. 3, 8 Satz 1 des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts vom 5.5.2004 (Kostenrechtsmodernisierungsgesetz, BGBl I S. 718) n...