VVG § 11 § 19 Abs. 2 § 172; BGB § 133
Leitsatz
1. Die anlässlich einer Umdeckung erklärte "Kündigung" einer Berufsunfähigkeitsversicherung, deren Wirksamwerden vom Zustandekommen des neuen Vertrages abhängig gemacht wurde, kann als Angebot auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages anzusehen sein, auf das der VR durch Annahme der "Kündigung" und des neuen Antrages eingegangen ist mit der Folge, dass sein späterer Rücktritt wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit auch diese Aufhebungsvereinbarung erfasst und zur Wiederherstellung des früheren Versicherungsschutzes führt.
2. Ein Berufsunfähigkeitsversicherer kann im Rahmen seiner Beratungspflicht gehalten sein, den VN anlässlich einer Umdeckung darauf aufmerksam zu machen, dass die gewählte Art der Vertragsgestaltung – hier: Neuabschluss unter Kündigung des Altvertrages – den bestehenden Versicherungsschutz wegen der dann nachteiligeren Folgen eines etwaigen Rücktritts stärker gefährdet, als ein statt dessen in Betracht zu ziehender Aufhebungsvertrag, und ihn bei unterlassenem Hinweis so zu stellen, als sei ein solcher Aufhebungsvertrag tatsächlich abgeschlossen worden.
OLG Saarbrücken, Urt. v. 15.2.2023 – 5 U 36/22
1 Sachverhalt
Die Kl unterhielt bei der Bkl einen Vertrag über eine selbstständige Berufsunfähigkeitsversicherung. Im Jahr 2017 veranlasste der Versicherungsvertreter der Bkl (G) unter Hinweis auf inzwischen günstigere Bedingungen des VR die Kl, den bisher bestehenden Vertrag zu kündigen und zugleich einen neuen Versicherungsvertrag abzuschließen. Dabei teilte er der Bkl mit, "Bitte beachten: Kündigung erst bei Annahme des neuen SBU-Antrages". Später nahm die Bkl den Antrag auf Abschluss eines neuen Vertrages zum 1.5.2017 an und teilte gleichzeitig mit, die Kündigung des bislang bestehenden Vertrages werde zum 1.5.2017 wirksam. Später trat sie von dem neuen Versicherungsvertrag wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit zurück. Die Kl begehrt (noch) die Feststellung des Fortbestandes des früheren Vertrages.
2 Aus den Gründen:
2. Zu Recht hat das LG festgestellt, dass die bei der Bekl. zuletzt unter der Vers.-Nr. … unterhaltene Vorversicherung nach dem mit Schreiben vom 3.6.2019 erklärten, jetzt als wirksam anzusehenden Rücktritt der Bekl. unverändert fortbesteht. Denn dieser Rücktritt hat bei sachgerechter Auslegung der von den Parteien getroffenen Vereinbarungen auch die – formal freilich im Wege der Kündigung herbeigeführte – Beendigung des früheren Vertrages in Wegfall gebracht. …
a) Das LG hat zur Begründung seiner Entscheidung zunächst in Erwägung gezogen, dass der ursprünglich zum 1.12.2003 geschlossene … Versicherungsvertrag im Jahre 2017 nicht vollständig aufgehoben und durch den am 9.5.2017 policierten Vertrag … ersetzt worden, sondern lediglich abgeändert worden sei, und der Rücktritt schon deshalb nur diese Neuregelung erfasst habe. Denn der Rücktritt von einem Abänderungsvertrag berühre nur diejenige Willenserklärung, deren Abgabe durch einen Willensmangel beeinflusst worden sei, also nur die zur Abänderung des bisherigen Vertrages führende Verlängerung. Das folge daraus, dass ein unterschiedliche Regelungen enthaltendes Rechtsgeschäft, das nur in Teilen von einer Falschangabe beeinflusst worden sei, auch nur insoweit unwirksam sein solle, weil das Rücktrittsrecht deren nachteilige Folgen ungeschehen machen, nicht aber ein allgemeines Reuerecht des Getäuschten begründen wolle. Nichts anderes ergebe sich aber auch dann, wenn man von einem Neuabschluss im Jahre 2017 ausgehe, weil der dann vorliegende Rücktritt vom gesamten (neuen) Versicherungsvertrag auch die weiteren Parteiabreden, d.h. insbesondere die darin enthaltene "Ersetzung" des früheren Versicherungsvertrages durch den neuen Vertrag mit erfassen würde. Beide Vereinbarungen seien nämlich durch den erklärten Willen der Parteien derart zu einem einheitlichen Geschäft miteinander verbunden, dass die Gültigkeit des einen Rechtsgeschäfts von der des anderen abhängen solle. Infolgedessen habe der von der Bekl. wirksam ausgeübte Rücktritt nicht nur den (neuen) Vertrag erfasst, sondern auch den damit verbundenen Aufhebungsvertrag in Wegfall gebracht.
b) Der Senat hält diese Begründung, … für richtig.
Der von der Berufung hervorgehobene – rein formale – Gesichtspunkt, wonach die Kl. den früheren Vertrag durch eine wirksame "Kündigung" beendet habe, kann bei zutreffender Betrachtung nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier nach dem erkennbaren Parteiwillen (§§ 133, 157 BGB) tatsächlich gerade keine einseitige Beendigung des bisherigen Versicherungsvertrages gewollt war, sondern vielmehr seine einvernehmliche Aufhebung und unmittelbar daran anschließende Ersetzung durch einen neuen Vertrag mit vermeintlich "besseren" Bedingungen. Deshalb ist es völlig zutreffend, wenn das LG annimmt, dass die augenscheinlich in die Form einer "Kündigung" gekleidete Aufhebung des früheren Versicherungsvertrages mit dem an seine Stelle tretenden neuen Vertrag "stehen und fallen" sollte und der am 3.6.2019 erklärte Rücktritt der B...