Das Werkstattrisiko ist nicht nur im Zusammenhang mit der Überschreitung der 130 %-Grenze von Bedeutung, sondern kann auch auf den unteren Stufen der Schadensabwicklung zu einer erhöhten Schadensersatzpflicht des Schädigers gegenüber dem Geschädigten führen. Es stellt sich daher die Frage, ob und auf welche Weise der Schädiger und sein Haftpflichtversicherer vor einer Belastung mit überhöhten Werkstattrechnungen geschützt werden können.
1. Bedeutung des Werkstattrisikos bei nicht bezahlter Reparaturkostenrechnung
In Rechtsprechung und Literatur besteht Einigkeit, dass der Geschädigte jedenfalls dann einen Anspruch gegen den Schädiger und dessen Haftpflichtversicherer auf Ersatz des in der Rechnung der Werkstatt ausgewiesenen – möglicherweise überhöhten – Betrags hat, wenn er die Reparaturrechnung bereits vollständig beglichen hat. Die bezahlte Rechnung ist zwar auch nach der Rechtsprechung nur ein Indiz für die aus der ex ante-Sicht zu bestimmende Erforderlichkeit der Aufwendungen i.S.d. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB. Da der Schädiger das Werkstattrisiko trägt, kommt eine abweichende Beurteilung aber nur in Betracht, wenn die berechneten Preise – für den Geschädigten erkennbar – erheblich über den üblichen Preisen liegen.
Hat der Geschädigte die Rechnung der Werkstatt noch nicht bezahlt, so soll der Rechnung als solcher keine Indizwirkung zukommen. Zur Begründung wird auf die Rechtsprechung des VI. Zivilsenats zur Erforderlichkeit von Sachverständigenkosten verwiesen, die in der Tat eine solche Differenzierung enthält. Der innere Grund für diese Differenzierung liegt darin, dass die Indizwirkung nicht auf dem vom Sachverständigen in Rechnung gestellten Betrag als solchem, sondern auf dem vom Geschädigten in Übereinstimmung mit der Rechnung tatsächlich erbrachten Aufwand liegt. Bei einer unbezahlten Rechnung soll es daher auch im Verhältnis zwischen dem Geschädigten und dem Schädiger sowie dessen Haftpflichtversicherer möglich sein, die geltend gemachten Positionen im Einzelnen auf ihre objektive Erforderlichkeit hin zu überprüfen. Dies steht aber unter dem Vorbehalt, dass der Geschädigte keine anderen konkreten Anhaltspunkte für den erforderlichen Herstellungsaufwand beibringt. In Betracht kommt etwa eine Zahlungspflicht aufgrund einer wirksamen Preisvereinbarung. Da die spezifische Situation des Geschädigten auch hier zu berücksichtigen ist, bleibt es bei der subjektiven Schadensbetrachtung. Das Werkstattrisiko wird also nicht auf den Geschädigten verlagert.
2. Notwendigkeit einer subjektbezogenen Schadensbetrachtung
In einem aktuellen Urt. v. 26.4.2022 hat der VI. Zivilsenat des BGH klargestellt, dass die Rechtsprechung des Senats zur Erforderlichkeit von Sachverständigenkosten nicht dahingehend zu verstehen ist, dass im Fall einer noch nicht bezahlten Rechnung vom Geschädigten ohne Verschulden veranlasste und tatsächlich durchgeführte Schadensbeseitigungsmaßnahmen entgegen den Grundsätzen der subjektbezogenen Schadensbetrachtung nur deshalb außer Betracht bleiben müssen, weil sie sich nach fachkundiger Prüfung bei rein objektiver Betrachtung als unangemessen erweisen. Der Senat begründet dies damit, dass es nach den Grundsätzen der subjektbezogenen Schadensbetrachtung gerade nicht darauf ankomme, ob die vom Geschädigten veranlassten und tatsächlich durchgeführten Maßnahmen zur Schadensbeseitigung sich nach fachkundiger Prüfung bei rein objektiver Betrachtung als unangemessen erweisen; entscheidend sei vielmehr, ob diese Maßnahmen aus der ex ante-Sicht des Geschädigten erforderlich waren. Im gleichen Sinne haben das LG Saarbrücken und das AG Stade damit argumentiert, dass sich die begrenzten Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten schon in der Erteilung des Auftrags zur Reparatur an die Werkstatt auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens widerspiegeln; die spätere Zahlung des Rechnungsbetrags stelle sich allein als Erfüllung der daraus folgenden Verbindlichkeit dar. Entspricht der Rechnungsbetrag der zwischen dem Geschädigten und der Werkstatt getroffenen Vereinbarung, so hilft dem Haftpflichtversicherer des Schädigers daher nicht, wenn er dem Geschädigten vor der Bezahlung der Rechnung einen Prüfbericht zusendet, der Zweifel an der Berechtigung einzelner Positionen begründet.
Bei einer subjektbezogenen Schadensbetrachtung können der Schädiger und sein Haftpflichtversicherer sich gegenüber dem Geschädigten also nicht darauf berufen, dass die von der Werkstatt geltend gema...