Der Entscheidung des OLG Koblenz liegt auf der Linie der Rechtsprechung des BGH und ist m.E. jedenfalls im Ergebnis richtig. Allerdings überzeugt die Urteilsbegründung nicht in allen Punkten. Erstaunlich ist auch, dass die offensichtlich in einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle tätig gewordenen Rechtsanwälte die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen für den Anfall einer Geschäftsgebühr für eine vorgerichtliche Zahlungsaufforderung und den Nachweis an einen entsprechenden Auftrag nicht beachtet haben.
Geschäftsgebühr oder Verfahrensgebühr
Die Geschäftsgebühr fällt nach Vorbem. 2.3 Abs. 3 VV RVG für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information an. Nach Vorbem. 3 Abs. 2 VV RVG entsteht die Verfahrensgebühr für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information. Die Anfertigung und Übersendung einer außergerichtlichen Zahlungsaufforderung stellt "das Betreiben des Geschäfts" im Rahmen der beiden vorgenannten Gebühren dar. Den insoweit wörtlich übereinstimmenden Gebührenregelungen lässt sich jedoch nicht entnehmen, ob diese Zahlungsaufforderung im Rahmen eines außergerichtlichen Vertretungsmandats mit der Folge des Anfalls einer Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG gefertigt wurde oder im Rahmen eines unbedingten Prozessauftrags. Im letzteren Falle würde die Zahlungsaufforderung nach § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 RVG als Vorbereitung der Klage zum Rechtszug gehören und damit durch die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG abgegolten. Dies schließt dann den Anfall einer Geschäftsgebühr aus.
Nach außen erkennbare Anwaltstätigkeit
Aus der nach außen hin erkennbaren Tätigkeit des späteren Prozessbevollmächtigten ergibt sich im Regelfall nicht, ob dem Rechtsanwalt für die vorgerichtliche Zahlungsaufforderung eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG angefallen ist. Eine solche vorprozessuale Zahlungsaufforderung lässt nämlich nicht darauf schließen, ob dem Rechtsanwalt ein die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG auslösender Vertretungsauftrag erteilt worden ist oder ob der Anwalt diese Tätigkeit im Rahmen eines ihm bereits erteilten (unbedingten) Klageauftrags ausgeübt hat.
Art und Umfang des Auftrags
Wie diese in beiden Fällen die nach außen hin identische Tätigkeit des Rechtsanwalts – hier die vorprozessuale Zahlungsaufforderung vom 13.2.2020 – gebührenrechtlich einzuordnen ist, richtet sich nach dem dem Rechtsanwalt im konkreten Fall erteilten Auftrag (so bereits BGH BGHZ 48,334; BGH NJW 1968, 2334 jeweils zum Anfall der Geschäftsgebühr nach § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO; BGH zfs 2019, 702 mit Anm. Hansens = RVGreport 2019, 453 (Hansens); BGH zfs 2021, 522 mit Anm. Hansens = AGS 2022, 16 (ders.); BGH AGS 2022, 215 (ders.) = JurBüro 2022, 244 für die Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV RVG). Der die Geschäftsgebühr auslösende Vertretungsauftrag kann dem späteren Prozessbevollmächtigten auf unterschiedliche Weise erteilt werden.
Vertretungsauftrag
Eine Möglichkeit besteht darin, dass der Mandant seinem Rechtsanwalt nur den Auftrag erteilt, den Gegner durch außergerichtliche Bemühungen zur Zahlung zu veranlassen. In diesem Fall löst das Betreiben des Geschäfts, etwa die vorgerichtliche Zahlungsaufforderung, nach Vorbem. 2.3 Abs. 3 VV RVG die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG aus. Die Regelung des § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 RVG, wonach die Vorbereitung der Klage und damit auch ein vorprozessuales Aufforderungsschreiben zum Rechtszug gehört und daher durch die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG abgegolten wird, greift in einem solchen Fall nicht ein. Voraussetzung für den Anfall der Geschäftsgebühr ist es somit, dass dem Anwalt jedenfalls zum Zeitpunkt der Zahlungsaufforderung noch kein die Verfahrensgebühr auslösender Prozessauftrag erteilt worden ist. Demgegenüber ist ein der Zahlungsaufforderung nachfolgender (unbedingter) Prozessauftrag, der eine neue gebührenrechtliche Angelegenheit i.S.d. § 15 Abs. 1 RVG einleitet, in dem die Gebühren nach Teil 3 VV RVG anfallen, unschädlich. Hierdurch entfällt die im Rahmen des Vertretungsmandats durch die Zahlungsaufforderung angefallene Geschäftsgebühr nachträglich nicht (Argument aus § 15 Abs. 4 RVG). Fällt dann im Rahmen des Prozessauftrags die Verfahrensgebühr nach Nrn. 3100, 3101 VV RVG an, ist die Geschäftsgebühr nach Vorbem. 2.3 Abs. 4 VV RVG zur Hälfte, höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75 auf die Verfahrensgebühr anzurechnen.
Vertretungsauftrag und bedingter Prozessauftrag
Als zweite Möglichkeit kommt in Betracht, dass der Mandant seinem Anwalt von vornherein, ggf. auch nacheinander, zwei Aufträge erteilt, nämlich einen Auftrag zur außergerichtlichen Vertretung und einen aufschiebend bedingten Prozessauftrag, dessen Bedingung erst eintreten soll, wenn die vorgerichtlichen Bemühungen des Anwalts nicht zu dem gewünschten Erfolg (im Regelfall Erfüllung der geltend gemachten Forderung) führen. Auch hier findet der vorstehend erwähnte § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 RVG keine Anwendung. Dem Rechtsanwalt ist zwar zum Zeitpunkt des Aufforderung...