RVG § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 1; VV RVG Nrn. 2300 3100; Vorbem. 3 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
Erteilt der Mandant den unbedingten Auftrag, im gerichtlichen Verfahren tätig zu werden, lösen bereits Vorbereitungshandlungen die Gebühren für das gerichtliche Verfahren aus, und zwar auch dann, wenn der Anwalt zunächst nur außergerichtlich tätig wird. Für das Entstehen der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 RVG-VV ist dann kein Raum mehr.
OLG Koblenz, Urt. v. 25.8.2022 – 7 U 559/22
1 Sachverhalt
Der Kläger hatte einen Gebrauchtwagen erworben, der von dem sog. Diesel-Skandal betroffen war. Er beauftragte deshalb eine Anwaltskanzlei, die bereits in einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle für ihre Mandanten auch gerichtlich tätig geworden war. Unter dem 13.2.2020 übersandten die Rechtsanwälte der (späteren) Beklagten ein außergerichtliches Aufforderungsschreiben, dem keine Vollmacht beigefügt war. Darin hieß es u.a.: "Zurzeit ist unserem Mandanten noch an einer gütlichen Einigung gelegen. Wir stellen ihnen daher anheim, einen für unseren Mandanten akzeptablen Vergleichsvorschlag zu unterbreiten. … Sollten wir bis zum vorgenannten Zeitpunkt keine Rückmeldung von ihnen erhalten, werden wir unserem Mandanten die klageweise Durchsetzung der berechtigten Ansprüche zu empfehlen haben."
Nachdem die außergerichtlichen Einigungsbemühungen der Rechtsanwälte des Klägers scheiterten, erhoben diese Klage auf Zahlung des Kaufpreises in Höhe von 55.255,03 EUR Zug um Zug gegen Rücknahme des Fahrzeugs. Ferner beantragte der Kläger, ihn von seinen vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 2.994,04 EUR, die auf der Grundlage einer Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV berechnet worden waren, freizustellen. Das LG Koblenz hat am 1.4.2020 der Klage auf Rückzahlung des Kaufpreises stattgegeben, sie wegen des Freistellungsanspruchs hingegen abgewiesen.
Mit seiner hiergegen eingelegten und begründeten Berufung hat der Kläger geltend gemacht, der deliktisch geschädigte rechtsunkundige Kläger habe einen Anspruch auf Freistellung von seinen vorgerichtlichen Anwaltskosten. Das am 13.2.2020 verfasste Aufforderungsschreiben sei zweckmäßig gewesen. Zu diesem Zeitpunkt habe der Kläger seinen Anwälten keinen unbedingten Klageauftrag erteilt. Die Beklagte hat dies bestritten und darauf verwiesen, die Klägervertreter hätten in vergleichbaren Fällen eine Vielzahl gerichtlicher Verfahren geführt, was die entsprechende Erteilung eines unbedingten Klageauftrags nahelege.
Das OLG Koblenz hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
2 Aus den Gründen:
…" II. Die nach §§ 516 ff. ZPO statthafte und zulässige Berufung des Klägers hat unter Berücksichtigung der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (III ZR 205/17, Urt. v. 15.8.2019, juris Rn 43–44 m.w.N., zfs 2019, 702 m. Anm. Hansens = RVGreport 2019, 453 (Hansens); VI ZR 353/20, Urt. v. 22.6.2021 juris Rn 7–8, zfs 2021, 522 m. Anm. Hansens = AGS 2022, 16 (Hansens); VI ZR 354/20, Urt. v. 30.7.2021, juris Rn 25 und VII ZR 320/21, Urt. v. 24.2.2022 juris Rn 24, AGS 2022, 215 (Hansens) = JurBüro 2022, 244) keinen Erfolg.
Ob eine vorprozessuale anwaltliche Zahlungsaufforderung eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG auslöst oder als der Vorbereitung der Klage dienende Tätigkeit nach § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 RVG zum Rechtszug gehört und daher mit der Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG abgegolten ist, ist eine Frage der Art und des Umfangs des im Einzelfall erteilten Mandats. Erteilt der Mandant den unbedingten Auftrag, im gerichtlichen Verfahren tätig zu werden (vgl. Vorbem. 3 Abs. 1 Satz 1 VV RVG), lösen bereits Vorbereitungshandlungen die Gebühren für das gerichtliche Verfahren aus, und zwar auch dann, wenn der Anwalt zunächst nur außergerichtlich tätig wird. Für das Entstehen der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG ist dann kein Raum mehr. Anders liegt es, wenn sich der Auftrag nur auf die außergerichtliche Tätigkeit des Anwalts beschränkt oder der Prozessauftrag jedenfalls unter der aufschiebenden Bedingung erteilt wird, dass zunächst vorzunehmende außergerichtliche Einigungsversuche erfolglos bleiben. Ein lediglich (aufschiebend) bedingt für den Fall des Scheiterns des vorgerichtlichen Mandats erteilter Prozessauftrag steht der Gebühr aus Nr. 2300 VV RVG nicht entgegen (vgl. BGH, a.a.O.).
Der Kläger behauptet hier zwar, seine Bevollmächtigten zunächst nur mit der außergerichtlichen Durchsetzung seiner Ansprüche beauftragt zu haben, bleibt den hierfür erforderlichen Beweis jedoch schuldig. Dem vom Kläger als Anlage K7 vorgelegten außergerichtlichen Aufforderungsschreiben vom 13.2.2020 ist keine Vollmacht beigefügt. Allerdings gleichen Aufbau und Diktion des Aufforderungsschreibens, mit dem die Erstattung des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung binnen einer Woche gefordert wurde, bereits derart der späteren Klageschrift, dass von einem unbedingten Klageauftrag auszugehen ist.
Bei der in dem Schreiben enthaltenen Aussage: "Zurzeit ist unserem Mandanten noch an einer gütlichen Einigung gelegen. Wir stellen Ihnen daher anhe...