1.1 BGH entscheidet zum Differenzschaden in "Diesel-Verfahren" nach dem Urteil des EuGH v. 21.3.2023 (C 100/21)
Der als Hilfsspruchkörper für Diesel-Verfahren vorübergend eingesetzte VIa. Zivilsenat des BGH hat mit Urteilen v. 26.6.2023 (VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21 und VIa ZR 1031/22) im Anschluss an die Entscheidung des EuGH v. 21.3.2023 (C-100, 21, zfs 2023, 182) entschieden, unter welchen Voraussetzungen Käufer von Dieselfahrzeugen den Ersatz eines Differenzschadens vom Fahrzeughersteller verlangen können. Im Verfahren VIa ZR 335/21 gegen die Volkswagen AG bestätigt der BGH, dass die Tatbestandswirkung der EG-Typgenehmigung einem Anspruch aus §§ 826, 31 BGB gegen den Fahrzeughersteller nicht entgegengehalten werden könne. Zudem hat der BGH für eine Haftung des Fahrzeugherstellers nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV auf Ersatz des Vertrauensschadens folgende Grundsätze aufgestellt: Wenn der Fahrzeughersteller den Käufer nicht vorsätzlich sittenwidrig geschädigt habe, sei kein großer Schadensersatz zu gewähren, sondern nur der Differenzschadensersatz. Der Käufer eines Fahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, habe stets einen Schaden, weil aufgrund der drohenden Betriebsbeschränkung bzw. Betriebsuntersagung die Verfügbarkeit des Fahrzeugs in Frage stehe. Zugunsten des Käufers greife der Erfahrungssatz, dass er im Falle der Ausstattung mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung das Fahrzeug nicht zu dem vereinbarten Preis gekauft hätte. Das Vorhandensein der unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der EG-VO Nr. 715/2007 müsse der Käufer darlegen und beweisen. Der Fahrzeughersteller müsse dagegen ausnahmweise die Zulässigkeit einer solchen Einrichtung darlegen und beweisen. Dieser müsse im Falle des Vorhandenseins einer unzulässigen Abschalteinrichtung auch darlegen und beweisen, dass er bei der Ausgabe der Übereinstimmungsbescheinigung weder vorsätzlich noch fahrlässig verkannt habe, dass das Kraftfahrzeug den unionsrechtlichen Vorgaben nicht entspreche. Berufe sich der Hersteller auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum, gelten die hierzu von der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Grundsätze. Der dem Käufer zu gewährende Schadensersatz sei in Höhe von 5–15 % des Kaufpreises zu bemessen. Eines Sachverständigengutachtens bedürfe es zur Bemessung des Schadensersatzes nicht. Vorteile müsse sich der Käufer nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung anrechnen lassen, die der BGH für den kleinen Schadensersatz nach §§ 826, 31 BGB entwickelt habe. Die Entscheidung des EuGH v. 21.3.2023 wurde bereits im April-Heft der zfs besprochen (zfs 2023, 182).
Quelle: Pressemitteilung des BGH Nr. 100/2023 v. 26.6.2023