BGB § 249 Abs. 2 S. 1 § 364 Abs. 1 § 398 § 425; GG Art. 103 Abs. 1; VVG § 115 Abs. 1 S. 4; StVG § 7 § 18
Leitsatz
1. Die formularmäßige Abtretung der Forderung auf Erstattung der Gutachterkosten an den Sachverständigen verstößt gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 2 S. 2 BGB, wenn die Abtretung nur erfüllungshalber erfolgt und die Klausel die Voraussetzungen, unter denen der Zedent gleichwohl in Anspruch genommen werden kann, nicht offenlegt. (Rn.29 ff.)
2. Der Umstand, dass ein Verkehrsunfallgeschädigter nach dem Wortlaut einer Abtretungsvereinbarung mit dem beauftragten Kfz-Sachverständigen lediglich "seinen Anspruch auf Erstattung der Sachverständigenkosten gegenüber der Haftpflichtversicherung" abgetreten hat, nicht aber gegen seine weiteren Gesamtschuldner, nämlich den Unfallverursacher bzw. Halter (isolierte Abtretung), steht der Wirksamkeit der Abtretung nicht entgegen. (Rn 37 ff.)
3. Hat der Geschädigte eines Verkehrsunfalls ein Schadensgutachten in Auftrag gegeben und mit dem Sachverständigen eine Preis- oder Honorarvereinbarung getroffen, ohne sich der daraus ergebenden Verpflichtung zugleich durch Abtretung eigener Ansprüche auf Ersatz der Sachverständigenkosten an Erfüllungs statt zu entledigen, bildet dies bei der Schadensschätzung nach § 287 ZPO ein Indiz für die Bestimmung des zur Herstellung "erforderlichen" Betrages im Sinne von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB. (Rn 55) (Leitsätze der Redktion)
BGH, Urt. v. 7.2.2023 – VI ZR 137/22
1 Sachverhalt
[1] Die Klägerin nimmt den beklagten Haftpflichtversicherer aus abgetretenem Recht auf Ersatz restlicher Sachverständigenkosten nach einem Verkehrsunfall in Anspruch.
[2] Das Fahrzeug des Geschädigten wurde am 1.8.2018 bei einem Verkehrsunfall beschädigt. Die volle Einstandspflicht der Beklagten als Haftpflichtversicherer des Unfallverursachers steht dem Grunde nach außer Streit. Der Geschädigte beauftragte noch am Unfalltag die Klägerin mit der Erstellung eines Gutachtens zur Schadenshöhe. Das Auftragsformular enthielt unter der Überschrift "Zahlungsanweisung und Abtretungserklärung" den nachfolgenden Text:
"Ich weise hiermit die Versicherungsgesellschaft meines Unfallgegners an, die Rechnung für das vorstehend in Auftrag gegebene Gutachten, zur Erfüllung meines Schadensersatzanspruchs auf Erstattung der Gutachtenkosten, an die T. GmbH [Klägerin] zu bezahlen. Weiter trete ich meinen Schadensersatzanspruch auf Erstattung der Gutachtenkosten gegen den Unfallgegner und dessen Versicherungsgesellschaft an die T. GmbH ab. Meine persönliche Haftung für die Gutachtenkosten bleibt trotz dieser Abtretung bestehen. Die Abtretung erfolgt nicht an Erfüllungs statt. Die Kosten für das Gutachten werden nach der derzeit geltenden Honorartabelle der T. GmbH berechnet. Im Übrigen gelten für diesen Auftrag die beigefügten Geschäftsbedingungen."
[3] Das von der Klägerin erstellte Gutachten wies notwendige Reparaturkosten in Höhe von netto 1.599,65 EUR und einen merkantilen Minderwert von 250 EUR aus; es enthielt eine Lichtbildanlage mit 13 Lichtbildern. Die Klägerin stellte hierfür insgesamt 576,08 EUR in Rechnung, die sich wie folgt zusammensetzten:
Grundhonorar |
396,00 EUR |
Schreibkosten/Kopien |
21,00 EUR |
Porto-/Telefonkosten |
15,00 EUR |
Lichtbilder zum Original |
26,00 EUR |
Lichtbilder zum Duplikat |
6,50 EUR |
Fahrtkostenersatz 28 km x 0,70 EUR |
19,60 EUR |
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484,10 EUR |
Mehrwertsteuer 19,0 % |
91,98 EUR |
|
576,08 EUR |
[4] Die Beklagte zahlte darauf vorgerichtlich 499 EUR an die Klägerin, eine weitergehende Zahlung lehnte sie ab. Die Klägerin und der Geschädigte schlossen am 19./20.10.2020 die folgende weitere "Abtretungsvereinbarung":
"Der Auftraggeber/Zedent tritt hiermit seinen Anspruch auf Erstattung der Sachverständigenkosten gegenüber der Haftpflichtversicherung an die T. GmbH/Zessionarin [Klägerin] ab und ermächtigt die T. GmbH/Zessionarin diese Kosten gerichtlich geltend zu machen.
Im Zeitpunkt der Abtretung erlischt der Anspruch der T. GmbH auf Erfüllung ihres Werklohnanspruchs gegenüber dem Auftraggeber. Die Abtretung erfolgt somit ausdrücklich an Erfüllung statt."
[5] Die Klägerin setzte der Beklagten zuletzt eine Frist zur Zahlung zum 5.8.2021 und verlangte mit weiterem Rechtsanwaltsschreiben vom 16.8.2021 zusätzlich die Zahlung von Zinsen und außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten spätestens zum 30.8.2021. Die Beklagte lehnte die Zahlung des noch offenen Betrages weiter ab. Dieser Restbetrag von 77,08 EUR nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ist Gegenstand der Klage.
[6] Das Amtsgericht hat die Klage wegen fehlender Aktivlegitimation infolge unwirksamer Abtretungen abgewiesen und die Berufung zunächst nicht zugelassen. Auf die Anhörungsrüge der Klägerin hat das Amtsgericht das Verfahren fortgeführt, die Klage mit identischer Begründung erneut abgewiesen und die Berufung zugelassen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht die Entscheidung des Amtsgerichts abgeändert und der Klage im Wesentlichen – bis auf einen geringen Teil der geltend gemachten Rechtsanwaltskosten – stattgegeben. Mi...