VVG § 178; AUB 2.2.4.1.1.6.
Leitsatz
Stellt die Leistungsbeschreibung Allgemeiner Unfallversicherungsbedingungen auf den Bruch zweier langer Röhrenknochen an zwei unterschiedlichen Gliedmaßenabschnitten ab, so erfüllen eine Fraktur des Schienbeins und eine des Wadenbeins diese Voraussetzung nicht.
(Leitsatz der Schriftleitung)
OLG Hamm, Beschl. v. 7.8.2023 – 20 U 19/23
1 Aus den Gründen:
“… Zu Recht und mit zutreffenden Gründen hat das LG die Klage abgewiesen …
1. Der Kl. stehen die geltend gemachten Leistungen nicht zu. Die Kl. hat durch den von ihr behaupteten Unfall keine Fraktur an zwei langen Röhrenknochen an zwei unterschiedlichen Gliedmaßenabschnitten i.S.v. von Ziff. 2.2.4.1.1, 6. Spiegelstrich der vereinbarten AUB stehen erlitten. Dies wird von der Kl. in der Berufungsinstanz auch nicht mehr in Abrede gestellt.
Soweit sie in erster Instanz noch die Auffassung vertreten hat, dass bei einem Bruch von Schienbein und Wadenbein die Voraussetzungen der Klausel erfüllt seien, ist dies angesichts des eindeutigen und nicht anders zu verstehenden Wortlautes von Ziff. 2.2.4.1.1, 6. Spiegelstrich AUB nicht nachzuvollziehen, da eben nicht “zwei unterschiedliche Gliedmaßenabschnitte betroffen sind.
Nur am Rande wird darauf hingewiesen, dass in der obergerichtlichen Rechtsprechung (OLG Frankfurt/M. r+s 1998, 80) sogar eine Klausel, nach deren Wortlaut eine “Fraktur an zwei langen Röhrenknochen (Ober/Unterarm, Ober-/Unterschenkel)” – also ohne den hier vereinbarten klarstellenden Zusatz “an zwei unterschiedlichen Gliedmaßenabschnitten – Voraussetzung für die Leistung war, so ausgelegt worden ist, dass diese Frakturen an zwei unterschiedlichen Gliedmaßen eingetreten sein müssen und damit der Bruch zweier Röhrenknochen des gleichen Gliedmaßes nicht als schwere Mehrfachverletzung i.S.d. Bedingungen zu verstehen ist.
2. Die Klausel ist entgegen der – erstinstanzlich vertretenen – Ansicht der Kl. auch nicht unklar iSv § 305c II BGB. Diese Vorschrift, wonach Zweifel bei der Auslegung von AGB zulasten des Verwenders gehen, greift nur ein, wenn die Möglichkeiten der Auslegung erschöpft sind und objektive Mehrdeutigkeiten verbleiben. Hiervon kann angesichts des – der Senat wiederholt sich – eindeutigen, unmissverständlichen Wortlauts keine Rede sein. Die Klausel kann nicht anders dahin ausgelegt werden, dass die versicherte Person als unmittelbare Folge des Unfalls Frakturen an zwei langen Röhrenknochen an zwei unterschiedlichen Gliedmaßenabschnitten erlitten haben muss.
3. Die Klausel ist entgegen der Auffassung der Kl. auch nicht "versteckt", also i.S.v. § 305c I BGB überraschend. Die Kl. verkennt bei ihrer Argumentation bereits, dass es sich bei der in Rede stehenden Klausel eben nicht um eine "Ausschlussklausel", sondern um eine (primäre) Leistungsbeschreibung handelt. In Ziff. 2.2.4.1.2 AUB werden die Voraussetzungen einer bedingungsgemäßen Schwerverletzung, für welche in dem Versicherungsschein Leistungen versprochen werden, erst definiert.
Alleine dem Begriff der im Versicherungsschein erwähnten "Schwerverletzung" kann ein VN, wie auch den anderen Begriffen (wie z.B. "Invaliditätsleistungen") nicht entnehmen, unter welchen Voraussetzungen die Bekl. die versprochenen Leistungen schuldet. Der VN wird sich daher – zwangsläufig – anhand der AVB über die Voraussetzungen der einzelnen Leistungen informieren. Dann aber wird er – zwangsläufig – die Ziff. 2.2.4.1.2 AUB zur Kenntnis nehmen. Er wird dieser Klausel entnehmen, dass dort der Begriff der Schwerverletzung durch die die sodann aufgeführten Verletzungen definiert wird. Der Wortlaut der Klausel, wonach die versicherte Person eine der "folgenden Schwerverletzungen" (welche sodann in den einzelnen Spiegelstrichen aufgeführt werden) erlitten haben muss, ist eindeutig. Die hier in Rede stehende, im 6. Spiegelstrich aufgeführte Schwerverletzung ("Fraktur an zwei langen Röhrenknochen (Ober-/Unterarm, Ober-/Unterschenkel) an zwei unterschiedlichen Gliedmaßenabschnitten") stellt daher als eine der enumerativ und abschließend aufgeführten "Schwerverletzungen" eine Leistungsvoraussetzung dar. Wenn die Kl. demgegenüber geltend macht, dass "erst in dem 6. Spiegelstrich und dann auch noch unter der Ziffer 2.2.4.1.2" der Ausschluss, dass die Verletzungen an zwei unterschiedlichen Gliedmaßen vorliegen müssen, normiert seien, hat sie offenbar eine andere Klausel vor Augen. "Erst in dem 6. Spiegelstrich und dann auch noch unter der Ziffer 2.2.4.1.2" – und nicht bereits in dem Versicherungsschein oder anderer Stelle der Allgemeinen Versicherungsbedingungen – wird nämlich auch die Fraktur an zwei langen Röhrenknochen (Ober-/Unterarm, Ober-/Unterschenkel) als Leistungsvoraussetzung erwähnt. Unmittelbar hiernach – noch in demselben Satz – wird ausgeführt: "an zwei unterschiedlichen Gliedmaßenabschnitten". Davon, dass die Klausel "überraschend" i.S.v. § 305c BGB ist, kann demnach keine Rede sein.
zfs 7/2024, S. 392 - 393