VVG § 49 § 50
Leitsatz
Der VR kann die Prämie für die vorläufige Deckung nicht nach einer Regelung in den AVB bestimmen, nach der bei Fehlen von Angaben bei Abschluss des Vertrages der Beitrag nach den fiktiven ungünstigsten Angaben berechnet wird.
OLG München, Beschl. v. 7.11.2023 – 25 U 2275/23
1 Aus den Gründen:
1. Der klagende Kraftfahrthaftpflichtversicherer kann von dem Bekl. für die vorläufige Deckung die Zahlung einer Prämie in der zuerkannten Höhe verlangen. Gemäß § 49 Abs. 2 VVG, B.2.7 der Versicherungsbedingungen und § 50 VVG hat die Kl. Anspruch auf einen der Laufzeit der vorläufigen Deckung entsprechenden Teil der Prämie. Die Höhe der Prämie ergibt sich aus der Berechnung der Kl. auf der Grundlage von Anhang 2 Nr. 1.1 der Versicherungsbedingungen.
a) Allerdings kann die Kl. sich im Streitfall nicht auf die Bestimmung in Anhang 2 Nr. 1.3 der Versicherungsbedingungen stützen. Diese Bestimmung lautet: "Fehlen bei Abschluss des Vertrags Angaben, wird der Beitrag berechnet, als hätten Sie die für die Beitragsberechnung ungünstigsten Angaben gemacht." Die Bestimmung findet hier keine Anwendung.
aa) AVB sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher VN sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines VN ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. Werden Versicherungsverträge typischerweise mit und für einen bestimmten Personenkreis geschlossen, so sind die Verständnismöglichkeiten und Interessen der Mitglieder dieses Personenkreises maßgebend (BGH VersR 2011, 918). In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den VN erkennbar sind (BGH NJW 2019, 2172 Rn 17 m.w.N.).
bb) Der durchschnittliche VN wird das Erfordernis, dass bei Abschluss des Vertrags Angaben – für die Beitragsberechnung – fehlen, auf diejenigen Angaben beziehen, die in Anhang 2 Nr. 1.1 Abs. 2 Satz 1 der Versicherungsbedingungen genannt sind, also Angaben zu gefahrerheblichen Umständen, die der VR im Antrag vom VN verlangt. "Fehlen" können bei Vertragsschluss nur Angaben, die im Antrag verlangt aber nicht gemacht wurden (vgl. AG Potsdam, Urt. v. 16.5.2019 – 24 C 514/18).
Kommt – wie hier – lediglich ein Vertrag über die vorläufige Deckung zustande, ohne dass dem ein Antrag des VN zugrunde liegt, in dem der VR von diesem Angaben zu gefahrerheblichen Umständen verlangt hat, können solche Angaben bei Vertragsschluss nicht fehlen und die Fiktion der ungünstigsten Angaben gemäß Nr. 1.3 greift nicht ein (vgl. LG Düsseldorf, zfs 2017, 637). Dies entspricht der Interessenlage, denn bei Anwendung der Fiktion entstünde, sobald die Versicherungsbestätigung zur Fahrzeuganmeldung verwendet wird, ein Anspruch auf die Prämie stets in der dem VN ungünstigsten Höhe; nachträgliche günstigere Angaben würden hieran nichts ändern.
b) Damit richtet sich gemäß der Ausgangsregelung in Anhang 2 Nr. 1.1 der Versicherungsbedingungen die geschuldete Prämie nach den gefahrerheblichen Umständen, die der VR nach finanz- und versicherungsmathematischen Methoden kalkuliert und miteinander verknüpft. Die dem entsprechende klägerische Berechnung führt zu der zuerkannten Prämie.
aa) Neben den Fahrzeugdaten, die sich aus der Anmeldung ergeben, liegen der klägerischen Prämienberechnung folgende gefahrerhebliche Umstände zugrunde: "Fahrzeugalter 30 Jahre / Beruf / Branche / Fahrzeug ist nicht als Betriebsausgabe anerkannt / Sie sind am 31.8.1983 geboren / Fahrer neben Ihnen sind beliebige Personen / keine Angaben zum Fahrzweck / öffentl. Parkplatz/Straßenrand / kein selbstgenutztes Wohneigentum / Jahreskilometer: 99.000 / jährliche Zahlungsperiode".
bb) Diese gefahrerheblichen Umstände kann der Bekl. nicht bestreiten, ohne selbst darzulegen, welche gefahrerheblichen Umstände an deren Stelle zugrunde zu legen wären. Da es hieran fehlt, gelten die gefahrerheblichen Umstände als zugestanden.
Eine sekundäre Darlegungslast trifft den Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei, wenn diese keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. Dem Bestreitenden obliegt es im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast, Nachforschungen zu unternehmen, wenn ihm dies zumutbar ist. Genügt der Anspruchsgegner seiner sekundären Darlegungslast nicht, gilt die Behauptung des Anspruchstellers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden (BGH NJW 2021, 1669 Rn 27).
So liegt es hier. Die für die Prämienhöhe primär darlegungsbelastete Kl. hat – abgesehen von den bekannten Fahrzeugdaten – keine nähere Kenntnis der gefahrerheblichen Umstände und auch – abgesehen von Angaben des beklagten VN – keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung, während ...