OWiG § 17
Leitsatz
1. Bei der im Rahmen des § 17 OWiG vorzunehmenden individuellen Zumessungsentscheidung ist zu prüfen, ob Milderungs- oder Erschwerungsgründe vorliegen, die ein Abweichen von den Regelsätzen rechtfertigen. Hierbei kann grundsätzlich auch das Verhalten des Betroffenen nach dem begangenen Verstoß Berücksichtigung finden und zu einer Erhöhung oder Ermäßigung der Regelgeldbuße führen.
2. Hieran gemessen ist eine freiwillige verkehrspsychologische Maßnahme nicht schlechterdings ungeeignet, im Rahmen der Bemessung der Geldbuße Berücksichtigung zu finden und gegebenenfalls zu einer Reduzierung der Regelgeldbuße zu führen. (Leitsätze der Redaktion)
OLG Zweibrücken, Beschl. v. 8.3.2023 – 1 OWi 2 SsRs 64/22
1 Sachverhalt
Das AG hat den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 26 km/h zu einer Geldbuße von 100 EUR verurteilt. Das Amtsgericht hat die Regelbuße in Höhe von 80 EUR wegen einer früheren Ahndung eines Rotlichtverstoßes um 20 EUR erhöht. Im Rahmen der Bemessung der Geldbuße hat es ausgeführt, dass die Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Beratung nicht geeignet sei, die Herabsetzung der Geldbuße zu rechtfertigen. Eine solche Maßnahme habe nach § 4 Abs. 7 StVG zur Folge, dass bei einem Punktestand von einem bis fünf Punkten ein bereits erworbener Punkt abgezogen werden, nicht aber, dass zusätzlich bei einer weiteren Verkehrsordnungswidrigkeit die Geldbuße zu reduzieren sei. Das OLG Zweibrücken hat auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen das Urteil des AG im Ausspruch über die Höhe der Geldbuße aufgehoben und den Betroffenen zu einer Geldbuße in Höhe von 100 EUR verurteilt.
2 Aus den Gründen:
[…]
II. Die Rechtsbeschwerde ist in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang begründet. Die sachlich-rechtliche Überprüfung weist einen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen bei der Bemessung der Geldbuße auf. Im Übrigen ist sie unbegründet (§ 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 349 Abs. 2 StPO).
1. Die Ausführungen des Amtsgerichts, dass die Teilnahme an einer freiwilligen verkehrspsychologischen Maßnahme nicht zu einer Reduzierung der Geldbuße führen kann, halten rechtlicher Prüfung nicht stand. Insoweit gilt:
a) Gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 OWiG ist Grundlage für die Bemessung der Geldbuße die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und des Vorwurfs, der den Täter trifft. Als Ausgangspunkt für die Bemessung einer Geldbuße, die für eine straßenverkehrsrechtliche Ordnungswidrigkeit verhängt werden soll, ist grundsätzlich der Bußgeldkatalog heranzuziehen. Dieser dient der gleichmäßigen Behandlung sehr häufig vorkommender, wesentlich gleichgelagerter Sachverhalte (OLG Frankfurt, Beschl. v. 29.9.2022 – 3 Ss-OWi 1048/22; BR-Drucks 140/89 S. 22 f.). Er hat die Qualität eines für Gerichte verbindlichen Rechtssatzes. Die darin enthaltenen Bußgeldbeträge sind Regelsätze (§ 1 Abs. 2 Satz 1 BKatV) und als solche Zumessungsrichtlinien, die im Rahmen des § 17 Abs. 3 OWiG Berücksichtigung zu finden haben (s. BGH, Beschl. v. 28.11.1991 – 4 StR 366/91, BGHSt 38, 125, 132; OLG Frankfurt, Beschl. v. 29.9.2022 – 3 Ss-OWi 1048/22; KG, Beschl. v. 18.5.2015 – 3 Ws [B] 168/15; Janiszewski, NJW 1989, 3113, 3115). Dabei geht § 1 Abs. 2 BKatV von fahrlässiger Begehung und gewöhnlichen Tatumständen aus. Bei der gleichwohl vorzunehmenden individuellen Zumessungsentscheidung ist zu prüfen, ob Milderungs- oder Erschwerungsgründe vorliegen, die ein Abweichen von den Regelsätzen rechtfertigen (KG, a.a.O.; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 13.10.2006 – 1 Ss 82/06, NJW 2007, 166). Hierbei kann grundsätzlich auch das Verhalten des Betroffenen nach dem begangenen Verstoß Berücksichtigung finden und zu einer Erhöhung oder Ermäßigung der Regelgeldbuße führen (vgl. KK-OWiG/Mitsch, § 17 Rn 66; BeckOK StVR/Krenberger, § 17 OWiG Rn 5).
Aufgrund des vorgenannten Zwecks des Bußgeldkatalogs rechtfertigt indes lediglich ein deutliches Abweichen vom Normalfall betreffend die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit oder die Vorwerfbarkeit eine Abweichung vom Bußgeldkatalog. Sind hingegen außergewöhnliche, besondere Umstände hinsichtlich der Tatausführung und der Person des Täters nicht gegeben, darf nicht von ihm abgewichen werden (OLG Frankfurt, Beschl. v. 29.9.2022 – 3 Ss-OWi 1048/22; OLG Stuttgart, Beschl. v. 16.11.2018 – 1 Rb 25 Ss 1157/18; vgl. auch OLG Zweibrücken, Beschl. v. 31.5.2022 – 1 OWi 2 SsBs 89/21; Janiszewski, NJW 1989, 3113, 3116).
b) Hieran gemessen ist eine freiwillige verkehrspsychologische Maßnahme wie die hier vorliegende nicht schlechterdings ungeeignet, im Rahmen der Bemessung der Geldbuße Berücksichtigung zu finden und gegebenenfalls zu einer Reduzierung der Regelgeldbuße zu führen. Denn sie kann auf ein erhöhtes Maß an Einsicht und Besinnung in die straßenverkehrsrechtlichen Regelungen hindeuten. Anders als das Amtsgericht meint, handelt es sich vorliegend nämlich nicht um eine Maßnahme, durch die er gemäß § 4 Abs. 7 StVG eine Reduzierung seines bereits eingetragenen Punktes im Fahreignungs-Bewertun...