BGB § 242 § 313 § 779
Leitsatz
Die Tatsache, dass das Landesblindengeld in Niedersachsen für das Jahr 2004 von monatlich 510 EUR auf 409 EUR reduziert wurde, es dann zwei Jahre nicht bezahlt wurde und seine Zahlung ab Januar 2007 nur noch in Höhe von 220 EUR monatlich erfolgt, rechtfertigt keine Anpassung eines umfassenden und vorbehaltslosen Abfindungsvergleichs wegen einer Veränderung der Vertragsgrundlage oder einer erheblichen Äquivalenzstörung, wenn der verkehrsunfallbedingt erblindete Geschädigte mit einem Betrag von 750.000 DM abgefunden wurde, nach seiner unfallbedingten Frühpensionierung eine monatliche Pension von 1.400 EUR bezieht und durch die Aufnahme eines neuen Berufs weitere Einkünfte erzielt.
BGH, Urt. v. 12.2.2008 – VI ZR 164/07
Sachverhalt
Der Kläger erlitt bei einem Verkehrsunfall, für dessen Folgen die Beklagten in vollem Umfang haften, schwere Verletzungen, die zur Erblindung auf beiden Augen führten. Am 8.12.2000 unterzeichnete der Kläger eine Abfindungserklärung, in der er erklärte, nach Zahlung von insgesamt 750.000 DM "für alle bisherigen und möglicherweise künftig noch entstehenden Ansprüche, seien sie vorhersehbar oder nicht vorhersehbar, ( … ) endgültig und vorbehaltlos abgefunden" zu sein. In dem Formular, welches die Erklärung enthält, ist in einer Aufstellung möglicher unfallbedingter Drittleistungen angekreuzt, dass der Kläger Leistungen der Beihilfe und einer privaten Krankenversicherung sowie Landesblindengeld erhalte. Der Kläger bezog auf Grund des Unfallereignisses Leistungen nach dem Niedersächsischen Gesetz über das Landesblindengeld für Zivilblinde. Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger im Hinblick auf den Wegfall bzw. die Reduzierung des ihm gewährten Landesblindengeldes trotz der Abfindungserklärung weiteren Schadensersatz verlangen kann. Der Kläger ist der Auffassung, durch die Reduzierung des Landesblindengeldes im Jahr 2004 (von 510 EUR auf 409 EUR), dessen vollständige Streichung ab Januar 2005 sowie die erneute Einführung des Landesblindengeldes in Höhe von 220 EUR ab Januar 2007 sei die Geschäftsgrundlage für den Abfindungsvergleich entfallen. Dazu behauptet er, bei den Verhandlungen über die Abfindungssumme sei von der Beklagten zu 2 immer wieder auf den Bezug des Blindengeldes hingewiesen worden, wobei die Parteien davon ausgegangen seien, dass der Kläger das Blindengeld bis zum Tode beziehen werde; dies sei maßgeblicher Faktor für die Bemessung der Abfindungssumme gewesen. Er verlangt mit der Klage für die Jahre 2004 bis 2006 Zahlung der jeweils ausgefallenen (Differenz-)Beträge und für die Zeit ab 2007 Feststellung der entsprechenden Ersatzpflicht der Beklagten.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision zugelassen.
Aus den Gründen
[3] “I. Das Berufungsgericht, dessen Urteil in r+s 2007, 522 f. veröffentlicht ist, hat ausgeführt, der Kläger sei nicht berechtigt, eine Anpassung des Abfindungsvergleichs nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu verlangen. Durch den mit der Erklärung des Klägers vom 8.12.2000 zu Stande gekommenen Abfindungsvergleich hätten alle Ansprüche des Klägers aus dem Unfall endgültig erledigt und auch unvorhergesehene Schäden mit bereinigt werden sollen. Eine Änderung der Geschäftsgrundlage, welche eine Anpassung an die veränderten Umstände erforderlich erscheinen lasse, oder eine Äquivalenzstörung, welche für den Geschädigten nach den Gesamtumständen eine ungewöhnliche Härte bedeuten würde, lägen nicht vor.
[4] Wer eine Kapitalabfindung wähle, nehme das Risiko in Kauf, dass maßgebliche Berechnungsfaktoren auf Schätzungen und unsicheren Prognosen beruhten. Der Schädiger dürfe sich darauf verlassen, dass mit der Bezahlung der Kapitalabfindung, die gerade auch zukünftige Entwicklungen einschließen solle, die Sache für ihn ein für alle Mal erledigt sei. Zu den in Kauf genommenen Risiken, deren Realisierung nicht zu einer Anpassung nach den Prinzipien der Störung der Geschäftsgrundlage führe, gehörten auch Änderungen in Leistungsstrukturen, in die der Geschädigte im Verhältnis zu Dritten (Behörden, Krankenkassen etc.) eingebettet sei. Seien diese Leistungsverhältnisse bei Abschluss eines Abfindungsvergleichs nur als Positionen gesehen worden, komme es nicht darauf an, ob die Parteien mögliche Änderungen in ihre Vorstellungen mit einbezogen hätten oder nicht. Maßgebend sei vielmehr, ob es sich um Änderungen handele, die so überraschend seien, dass sie von den Parteien bei Vergleichsschluss weder ihrer Art noch ihrem Umfang nach als möglich hätten erwartet werden können.
[5] Um derartige Änderungen handele es sich bei Kürzung und Wegfall des Landesblindengeldes nicht. Hierfür spreche vor allem der Charakter des Landesblindengeldes. Es gewähre den Blinden angesichts der mit der Erblindung einhergehenden schweren Belastung unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Situation und ihrer konkreten krankheitsbedingten Beeinträchtigungen eine pauschale finanzielle Unterstützung. Angesichts der haushal...