VVG § 6 Abs. 3 a.F.; § 28 Abs. 3, 4 n.F.
Leitsatz
Voraussetzung einer arglistigen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit ist, dass der Versicherungsnehmer wissentlich und willentlich auf die Entscheidung des Versicherers einwirkt, indem er einen gegen die Interessen des Versicherers gerichteten Zweck verfolgt.
(Leitsatz der Schriftleitung)
BGH, Beschl. v. 4.5.2009 – IV ZR 62/07
Sachverhalt
I. Die Klägerin macht Leistungen aus einem Unfallversicherungsvertrag geltend, den sie für ihre am 22.2.1920 geborene Mutter als versicherte Person im Oktober 2002 nach Vermittlung über eine Versicherungsmaklerin mit der Beklagten abschloss.
Am 29.12.2002 stürzte die Mutter der Klägerin und brach sich dabei das rechte Handgelenk und die rechte Hüfte. In der ersten, auf einem Formular der Versicherungsmaklerin abgegebenen, von der Klägerin unterzeichneten Schadenanzeige vom 7.1.2003 wurden die Frage "War der Verletzte vor Eintritt des Unfalls vollkommen gesund und arbeitsfähig?" bejaht und die Frage "War der Verletzte in den letzten Jahren wegen allgemeiner Erkrankungen in ärztlicher Behandlung gewesen?" verneint. In der zweiten Schadenanzeige vom 27.3.2003 auf einem Formular der Beklagten ließ die Klägerin die Frage "Leidet oder litt die/der Verletzte zur Zeit des Unfalls an einer Krankheit oder einem Gebrechen? (z.B. … )" unbeantwortet. Dieses Formular enthält – anders als die erste Schadenanzeige – eine Belehrung darüber, dass bewusst unwahre oder unvollständige Angaben zum Verlust des Versicherungsschutzes führen, auch wenn dem Versicherer durch diese Angaben kein Nachteil entsteht. Mit Schreiben vom 30.4.2004 bat die Beklagte unter Bezugnahme auf ein ärztliches Gutachten vom 18.3.2004 um Auskunft über den Gesundheitszustand der Mutter der Klägerin vor dem Unfall. Aus den daraufhin von der Klägerin übersandten Arztberichten ergab sich, dass ihre Mutter in der Vergangenheit wiederholt gestürzt war, was die behandelnden Ärzte auf Schwindelanfälle und Gangunsicherheiten infolge cerebraler Durchblutungsstörungen zurückführten.
Das LG hat die auf Verurteilung der Beklagten zur Zahlung der vereinbarten Versicherungssumme von 100.000 EUR, hilfsweise auf Rentenleistung gerichtete Klage abgewiesen.
Das OLG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
Aus den Gründen
Aus den Gründen: [8] „… 2. Auf einer Verletzung des Rechts der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs beruhen die Überlegungen, mit denen das BG eine arglistige Obliegenheitsverletzung der Klägerin bei Abgabe der ersten Schadenanzeige angenommen hat.
[9] a) Nach der dem Berufungsurteil zu Grunde liegenden Relevanzrechtsprechung des Senats kann sich der Versicherer bei einer vorsätzlichen folgenlosen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit des Versicherungsnehmers nur dann auf Leistungsfreiheit berufen, wenn – was das BG hier bejaht hat – die Obliegenheitsverletzung generell geeignet war, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden und dem Versicherungsnehmer ein erhebliches Verschulden zur Last fiel (Senat VersR 2007, 785 Tz. 15; VersR 1998, 447 unter 2b, jeweils m.w.N.). Voraussetzung für die Leistungsfreiheit ist weiterhin, dass der Versicherer den Versicherungsnehmer vorher deutlich über den Anspruchsverlust belehrt hat, der ihm bei vorsätzlich falschen Angaben droht (Senat VersR 2007, 683 Tz. 2 m.w.N. ( … ). Eine derartige Belehrung hatte die Klägerin vor Abgabe der ersten Schadenanzeige von der Beklagten nicht erhalten. In einem solchen Fall wird – wie das BG richtig gesehen hat – der Versicherer gleichwohl leistungsfrei, wenn der Versicherungsnehmer arglistig seine Aufklärungspflicht verletzt hat und deshalb den mit der Belehrungspflicht bezweckten Schutz nicht verdient (vgl. Senat VersR 1976, 383 unter 2; VersR 1973, 174 unter VI 4; VersR 1971, 405 unter II 2; VersR 1971, 142 unter II 3). Eine arglistige Täuschung setzt eine Vorspiegelung falscher oder ein Verschweigen wahrer Tatsachen gegenüber dem Versicherer zum Zwecke der Erregung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums voraus. Der Versicherungsnehmer muss vorsätzlich handeln, indem er bewusst und willentlich auf die Entscheidung des Versicherers einwirkt. … Eine Bereicherungsabsicht des Versicherungsnehmers ist nicht erforderlich. Es reicht aus, dass er einen gegen die Interessen des Versicherers gerichteten Zweck verfolgt, etwa indem er Schwierigkeiten bei der Durchsetzung berechtigter Deckungsansprüche ausräumen will und weiß, dass sein Verhalten den Versicherer bei der Schadenregulierung möglicherweise beeinflussen kann (BGH VersR 1991, 1129, 1131 unter 2c (2) m.w.N.).
[10] b) Das BG hat eine Arglist der Klägerin im Kern damit begründet, dass ihr schon bei Abschluss des Unfallversicherungsvertrages die Vorerkrankungen und gesundheitlichen Probleme ihrer Mutter und das daraus folgende erhöhte Unfallrisiko bewusst gewesen seien. Dieses Bewusstsein hat das BG daraus abgeleitet, dass sich die von der Klägerin beauftragte Versicherungsmaklerin vor Abschluss des Vertrages bei der Beklagten erkundigte, ob sie die Mutter der Klägerin ohne Gesun...