ProdHaftG § 3
Leitsatz
Zur Produktsicherheit eines Gebäckstücks mit einer Kirschfüllung ("Kirschtaler").
BGH, Urt. v. 17.3.2009 – VI ZR 176/08
Sachverhalt
Der Kläger nimmt die Beklagte, die eine Bäckerei und Konditorei betreibt, auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch. Er verzehrte am 29.1.2007 einen von der Beklagten hergestellten Kirschtaler, ein Gebäckstück mit Kirschfüllung und Streuselbelag. Zur Herstellung der Füllung verwendet die Beklagte Dunstsauerkirschen, die im eigenen Saft liegen und über einen Durchschlag abgesiebt werden. Beim Verzehr dieses Gebäckstücks biss der Kläger auf einen darin eingebackenen Kirschkern. Dabei brach ein Teil seines oberen linken Eckzahns ab. Für die dadurch erforderlich gewordene zahnprothetische Versorgung hatte der Kläger einen Eigenanteil von 235,60 EUR zu zahlen. Er begehrt Ersatz dieser Kosten sowie ein angemessenes Schmerzensgeld (Vorstellung: 200 EUR).
Das AG hat der Klage stattgegeben und die Berufung zugelassen. Diese hatte keinen Erfolg. Mit der vom LG zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.
Aus den Gründen
Aus den Gründen: [3] „I. Das Berufungsgericht bejaht eine Haftung der Beklagten gem. §§ 1 Abs. 1, 8 S. 1 und 2 ProdHaftG. Es meint, der von der Beklagten hergestellte Kirschtaler habe wegen des darin eingebackenen Kirschkerns einen Produktfehler aufgewiesen. Ein Haftungsausschluss nach § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG komme nicht in Betracht.
[4] II. Dagegen wendet sich die Revision mit Erfolg.
[5] 1. Das Berufungsgericht geht rechtlich einwandfrei davon aus, dass ein Produkt gem. § 3 Abs. 1 ProdHaftG einen Fehler hat, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Umstände berechtigterweise erwartet werden kann.
[6] a) Die nach § 3 Abs. 1 ProdHaftG maßgeblichen Sicherheitserwartungen beurteilen sich grundsätzlich nach denselben objektiven Maßstäben wie die Verkehrspflichten des Herstellers im Rahmen der deliktischen Haftung gem. § 823 Abs. 1 BGB (vgl. Staudinger/Oechsler, BGB [2003], § 3 ProdHaftG Rn 19, MüKo-BGB/Wagner, 5. Aufl., § 3 ProdHaftG Rn 3; Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung [Stand: September 2008], Bd. I., Kza 1515, S. 7; Kullmann, Produkthaftungsrecht, 5. Aufl., Rn 435). Auf welchen Personenkreis für die Bestimmung des zu erwartenden Sicherheitsniveaus abzustellen ist, lässt der Wortlaut des Gesetzes offen. In der Literatur wird hierzu teilweise auf den Erwartungshorizont der durch die fehlende Produktsicherheit betroffenen Allgemeinheit (Staudinger/Oechsler, a.a.O., Rn 15 m.w.N.), teilweise aber auch auf die Erwartung des durchschnittlichen Benutzers oder Verbrauchers abgestellt (vgl. Kullmann, a.a.O., Rn 435 f.). In der Sache besteht jedoch Einigkeit, dass es für die Bestimmung des Fehlerbegriffs nicht auf die subjektiven Sicherheitserwartungen des konkret Geschädigten ankommt, sondern dass in erster Linie die Sicherheitserwartungen des Personenkreises maßgeblich sind, an den sich der Hersteller mit seinem Produkt wendet. Da der Schutzbereich der Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz indessen nicht auf die Erwerber oder Nutzer von Produkten beschränkt ist, sondern auch unbeteiligte Dritte einschließt, sind nicht nur die Sicherheitserwartungen des Adressatenkreises des vermarkteten Produkts zu berücksichtigen, sondern darüber hinaus auch das Schutzniveau, welches Dritte berechtigterweise erwarten können, sofern sie mit der Sache in Berührung kommen (MüKo-BGB/Wagner, a.a.O., Rn 5; Staudinger/Oechsler, a.a.O., Rn 15 ff. und Rn 20). Maßgeblich ist der Sicherheitsstandard, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält (Senatsurt. v. 16.2.1972 – VersR 1972, 559, 560).
[7] b) Ist die Ware für den Endverbraucher bestimmt, muss sie erhöhten Sicherheitsanforderungen genügen, die auf Wissen und Gefahrsteuerungspotenzial des durchschnittlichen Konsumenten Rücksicht nehmen (MüKo-BGB/Wagner, a.a.O., Rn 8; Schmidt-Salzer/Hollmann, Kommentar EG-Richtlinie Produkthaftung, 2. Aufl., Bd. 1, Art. 6 Rn 122). Die Haftung des Herstellers erweitert sich gegenüber den allgemeinen Maßstäben dann, wenn seine Produkte an Risikogruppen vertrieben werden bzw. diese typischerweise gefährden. Dementsprechend bestimmt Art. 2 lit. b der Produktsicherheitsrichtlinie 2001/95 EG (ABl. EG L 11 vom 15.1.2002, S. 4), dass die Produktsicherheit auch von den Erwartungen solcher Produktbenutzer abhängt, die bei der Verwendung des Produkts einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind. In diesem Zusammenhang werden ausdrücklich vor allem Kinder genannt (vgl. Staudinger/Oechsler, a.a.O., Rn 28). Wird ein Produkt mehreren Adressatenkreisen dargeboten, hat sich der Hersteller an der am wenigsten informierten und zur Gefahrsteuerung kompetenten Gruppe zu orientieren, also den jeweils höchsten Sicherheitsstandard zu Gewähr leisten (Foerste, in: v. Westphalen, Produkthaftungshandbuch, 2. Aufl., Bd. 2, § 74 Rn 46; MüKo-BGB/Wagner, a.a.O.).
[8] c) Zur Gewährleistung der erforderlichen Produktsicherheit hat der Hersteller ...