AUB 94 § 11 II, IV
Leitsatz
Im Rechtsstreit um die Erstfeststellung seiner Invalidität (hier nach § 11 II AUB 94) trifft den Versicherungsnehmer einer Unfallversicherung keine rechtliche Verpflichtung, bereits alle bis zum Abschluss der mündlichen Verhandlung eingetretenen Veränderungen seines Gesundheitszustandes geltend zu machen. Kann deshalb die Vertragspartei, welche später die Neubemessung der Invalidität verlangt, darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass bestimmte Veränderungen im Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers, auf die sich das Begehren stützt, noch nicht in die gerichtliche Erstbemessung eingeflossen sind, so sind diese Veränderungen im Rahmen der Neubemessung zu berücksichtigen.
BGH, Urt. v. 22.4.2009 – IV ZR 328/07
Sachverhalt
Der Kläger verlangt ergänzende Invaliditätsleistungen von seinem Unfallversicherer.
Er hatte am 28.6.2003 beim Sturz von einer hohen Leiter ein schweres Schädel-Hirntrauma, eine Aspirationspneumonie, einen distalen Mehrfragmentbruch der Speiche seines rechten Unterarms, einen Mehrfragmentbruch der Kniescheibe links und einen Kieferbruch erlitten. Am 14.1.2004 hatte sich der Kläger bei einem weiteren Sturz einen Beckenbruch rechts und Rippenbrüche zugezogen. Auf Grund von der Beklagten eingeholter Gutachten, denen zufolge der Invaliditätsgrad des Klägers zum damaligen Zeitpunkt insgesamt 49 % betragen sollte, ohne jedoch bereits seinen Endzustand erreicht zu haben, leistete die Beklagte Vorschusszahlungen auf die Invaliditätsleistung in Höhe von insgesamt 35.890 EUR und kündigte an, sie werde zum Ablauf des dritten Jahres nach dem Unfall vom 28.6.2003 eine abschließende Beurteilung in Auftrag geben.
Eine von dem Kläger erhobene Klage auf eine weitere Invaliditätsentschädigung und Zahlung einer monatlichen Invaliditätsrente wurde rechtskräftig abgewiesen.
In der Folgezeit lehnte die Beklagte die Einholung weiterer ärztlicher Gutachten für eine Neubemessung der Invalidität des Klägers ab. Ein von dem Kläger eingeholtes fachchirurgisches Gutachten kam zu dem Ergebnis, die Gesamtinvalidität des Klägers erreiche einen Grad von mindestens 60 %. Als posttraumatische Diagnosen seien gegenüber den früher festgestellten Schäden verschlimmernd ein sog. Sudeck-Syndrom der rechten Hand (CRPS) im Stadium II, eine radiokarpale Arthrose am rechten Handgelenk sowie eine ausgeprägte femuropattellare Arthrose des linken Kniegelenks hinzugekommen. Nunmehr hat der Kläger auf der Grundlage eines Invaliditätsgrades von 60 % weitere Invaliditätsentschädigung ohne gestaffelte monatliche Rentenzahlungen für die Zeit vom 1.6.2003 bis einschließlich 1.1.2007 verlangt. Er hat ferner beantragt festzustellen, dass er berechtigt sei, den Grad seiner Invalidität bezogen auf den 28.6.2006 neu feststellen zu lassen.
Aus den Gründen
Aus den Gründen: [7] „… II. Nach Auffassung des BG ist Gegenstand des Rechtsstreits allein die Neubemessung der Invalidität des Klägers nach § 11 (IV) der hier unstreitig vereinbarten AUB 94, weshalb die Rechtskraft des im Vorprozess ergangenen Urteils vom 14.11.2005, welches nur über die Erstbemessung der Invalidität entschieden habe, der Klage nicht entgegenstehe. Die Klage sei aber unbegründet. Der Kläger habe keinen Anspruch auf eine Neubemessung seiner Invalidität und darauf gestützte weitere Versicherungsleistungen. Es stehe rechtskräftig fest, dass der Invaliditätsgrad des Klägers am 10.10.2005, dem Tage der letzten mündlichen Verhandlung im Vorprozess, 49 % betragen habe. Eine konkrete Verschlechterung seines Gesundheitszustandes seither bis zum maßgeblichen Stichtag drei Jahre nach dem Unfall vom 28.6.2003 habe der Kläger mittels seiner lediglich pauschalen Bezugnahme auf das Privatgutachten nicht in beachtlicher Weise behauptet. …
[10] III. Das verletzt das Recht des Klägers auf rechtliches Gehör.
[11] 1. Art. 103 Abs. 1 GG garantiert den Verfahrensbeteiligten, dass sie Gelegenheit erhalten, sich vor Erlass einer gerichtlichen Entscheidung zum zu Grunde liegenden Sachverhalt zu äußern. Dieses Recht ist verletzt, wenn ein Gericht ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt oder auf rechtliche Gesichtspunkte abstellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (BVerfG NJW 2003, 2524). Insoweit hat das Gericht nach § 139 Abs. 1 S. 2 ZPO darauf hinzuwirken, dass sich die Parteien rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären und insbesondere auch Angaben zu geltend gemachten Tatsachen ergänzen (Senat NJW-RR 2009, 244 Tz. 9). Ein solcher Hinweis erfüllt seinen Zweck nur dann, wenn der Partei anschließend die Möglichkeit eröffnet wird, ihren Sachvortrag unter Berücksichtigung des Hinweises zu ergänzen (BGH VersR 2002, 444 unter II 2b m.w.N.). Das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, verpflichtet deshalb das BG dazu, neues Vorbringen dann zuzulassen, wenn eine unzulängliche Verfahrensleitung oder eine Verletzung der richterlichen Fürsorgepflicht das Ausbleiben des Vorbringens in der er...