VV RVG Nr. 1008, 2400
Vertritt der Rechtsanwalt in einem sozialrechtlichen isolierten Vorverfahren mehrere Auftraggeber, so erhöht sich automatisch auch die Schwellengebühr, wenn Mindest- und Höchstgebühr angehoben werden (Leitsatz des Verfassers).
BSG, Urt. v. 21.12.2009 – B 14 AS 83/08 R
Die Klägerin zu 1 und ihr durch sie vertretener Sohn, der Kläger zu 2, beantragten bei der Beklagten eine Kostenzusicherung für eine andere Wohnung. Der gegen die ablehnende Entscheidung von den anwaltlich vertretenen Klägern eingelegte Widerspruch hatte Erfolg. Hieraufhin begehrten die Kläger die Erstattung folgender Anwaltskosten:
1. Verfahrensgebühr, Nr. 2400 VV RVG |
240,00 EUR |
2. Erhöhungsgebühr, Nr. 1008 VV RVG |
72,00 EUR |
3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG |
20,00 EUR |
4. 16 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG |
+ 53,12 EUR |
Summe: |
385,12 EUR |
Durch den angefochtenen Bescheid setzte die Beklagte die zu erstattenden Kosten ohne die Gebührenerhöhung mit der Begründung fest, auch bei Vertretung mehrerer Auftraggeber komme eine Erhöhung der Geschäftsgebühr über den Schwellenwert von 240 EUR nur in Betracht, wenn die anwaltliche Tätigkeit umfangreich oder schwierig gewesen sei. Der hiergegen eingelegte Widerspruch der Kläger, ihre Klage vor dem SG Freiburg und ihre Berufung vor dem LSG Baden-Württemberg, dessen Entscheidung in AGS 2009, 73 = RVGreport 2010, 145 (Hansens) abgedr. ist, hatten keinen Erfolg. Die vom LSG zugelassene Revision der Kläger führte zur Zubilligung der beantragten Kosten.
Aus den Gründen:
[18] “Gem. Nr. 2400 VV RVG umfasst die Geschäftsgebühr in sozialrechtlichen Angelegenheiten einen Betragsrahmen von 40 EUR bis 520 EUR. Eine Gebühr von mehr als 240 EUR kann aber nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war (sog Schwellengebühr). Innerhalb dieses Gebührenrahmens bestimmt der Rechtsanwalt nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sind objektive Kriterien. Zu diesen treten die Bedeutung der Angelegenheit für den Auftraggeber sowie dessen Einkommens- und Vermögensverhältnisse als subjektive Kriterien hinzu. Darüber hinaus ist nach § 14 Abs. 1 Satz 3 RVG bei Verfahren, auf die Betragsrahmengebühren anzuwenden sind, ein besonderes Haftungsrisiko zu berücksichtigen. Diese Norm ergänzt für die Betragsrahmengebühren die allgemeine Regelung in § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG (vgl. Otto, NJW 2006, 1472).
[19] 4. Die konkreten Umstände des vorliegenden Falls lassen, darüber besteht zwischen den Beteiligten Einigkeit, eine Festsetzung der Betragsrahmengebühr durch den Rechtsanwalt der Kläger auf 240 EUR zu. Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit war durchschnittlich. Zwar hat der Bevollmächtigte nach den Feststellungen des LSG lediglich einen Schriftsatz verfasst. Auch war die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit durchschnittlich. Der Bevollmächtigte hatte sich nur mit der Frage auseinanderzusetzen, auf welche Personenzahl für die Beurteilung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft (KdU) abzustellen war. Andererseits war die Bedeutung der Angelegenheit für die Kläger weit überdurchschnittlich. Mit dem Widerspruch begehrten die Kläger eine Zusicherung für deutlich höhere KdU nach dem SGB II als im angefochtenen Bescheid ausgewiesen. Ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse waren weit unterdurchschnittlich. Es kann offen bleiben, ob der heranzuziehende Vergleichsparameter das Durchschnittseinkommen und -vermögen der Gesamtbevölkerung ist, oder ob hiervon deshalb noch ein Abschlag vorzunehmen ist, weil das Durchschnittseinkommen die Personenkreise vernachlässigt, die kein eigenes Einkommen haben. Dieses Kriterium wird jedenfalls durch die überdurchschnittliche Bedeutung der Angelegenheit kompensiert.
[20] 5. Die Geschäftsgebühr in Höhe des Schwellenwertes von 240 EUR erhöht sich hier gem. Nr. 1008 VV RVG um 72 EUR. Nach Nr. 1008 VV RVG erhöht sich die Geschäfts- oder Verfahrensgebühr, bei Betragsrahmengebühren der Mindest- und Höchstbetrag um 30 % für jede weitere Person, wenn Auftraggeber in derselben Angelegenheit mehrere Personen sind. Bei mehreren Auftraggebern erhöht sich auch die Schwellengebühr entsprechend der Anzahl der Auftraggeber um jeweils 30 % bis maximal zum Doppelten des Ausgangsbetrags (vgl. Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 18. Aufl. 2008, Nr. 1008 VV RVG Rn 242). Eine Einschränkung dahingehend, dass eine Erhöhung auch bei mehreren Auftraggebern nur in Betracht kommt, wenn dies dazu führt, dass die Tätigkeit des Rechtsanwalts umfangreich oder schwierig wird, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen.
[21] a) Der Bevollmächtigte hat Widerspruch ausdrücklich im Namen beider Kläger eingelegt und wurde damit für eine Auftraggebermehrheit tätig. Eine Auftraggebermehrheit liegt vor, wenn derselbe Rech...