VVG § 23 ff.
Eine Gefahrerhöhung kann in der Treibstofflieferungen absichernden Warenkreditversicherung in den Fällen einer Ausweitung von Streckengeschäften vorliegen.
(Leitsatz der Schriftleitung)
BGH, Urt. v. 17.2.2010 – IV ZR 349/07
Aus den Gründen:
[1] "I. Das OLG hat der Klägerin einen auf Rückzahlung ihrer Versicherungsleistung in Höhe von 20.451,68 EUR gerichteten Bereicherungsanspruch versagt und dabei angenommen, die von verschiedenen Tankstellenpächtern, darunter dem Zeugen P, und der Firma O (im Folgenden: Firma O) getroffene Vereinbarung zur Nutzung freier Warenkredit-Versicherungskontingente der Tankstellenpächter habe mit Blick auf den Warenkreditversicherungsvertrag der Beklagten betreffend Kraftstofflieferungen an den Tankstellenpächter P keine Gefahrerhöhung dargestellt und sei auch nicht sittenwidrig gewesen. Dabei hat es entscheidend darauf abgestellt, diesem Versicherungsvertrag sei keine Einschränkung dahingehend zu entnehmen, dass die Verbindlichkeiten des Tankstellenpächters nur bei Kauf von Treibstoff für den eigenen Bedarf seiner Tankstelle versichert gewesen seien. Vielmehr seien ihm auch sog. Streckengeschäfte erlaubt gewesen."
[2] II. Das Berufungsurteil verletzt dabei in entscheidungserheblicher Weise das Recht der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Der Senat hat deshalb ihre Revision zugelassen und die Sache unter Aufhebung des Berufungsurteils gem. § 544 Abs. 7 ZPO im Beschlusswege zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das BG zurückverwiesen.
[3] 1. Die Feststellung einer Gefahrerhöhung erfordert einen Vergleich des versicherten Risikos mit der nach einer Änderung möglicherweise risikorelevanter Umstände neuen Gefahrenlage. Das kann immer nur anhand der Umstände des Einzelfalles geschehen, denn die Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes über Gefahrerhöhungen dienen dem Zweck, die im Versicherungsvertrag ausgehandelte Balance zwischen versichertem Risiko und Prämie zu wahren, oder den Vertrag anzupassen – und notfalls auch zu beenden – wenn dieses Gleichgewicht gestört ist.
[4] Ausgangspunkt ist – wie das BG zutreffend erkannt hat – die Auslegung des Vertrages zur Ermittlung des versicherten Risikos (vgl. dazu auch HK-VVG/Karczewski § 23 Rn 9, 10). Sodann muss dieses versicherte Risiko mit der Risikolage verglichen werden, wie sie sich nach Veränderung der Umstände darstellt. Dabei kommt es – wie in der Senatsrechtsprechung geklärt ist – nicht auf einzelne Gefahrumstände an; stattdessen ist zu fragen, wie sich die Gefahrenlage seit der Stellung des Antrags auf Abschluss des Versicherungsvertrages im Ganzen entwickelt hat. Hierfür sind alle ersichtlichen gefahrerheblichen Tatsachen in Betracht zu ziehen. (Senat VersR 2005, 218 unter II 1b (1); VersR 1981, 245, 246; VersR 2004, 895).
[5] 2. Dem hat das BG nicht genügt. Es hat die besonderen Umstände des Einzelfalles weitgehend unberücksichtigt gelassen und insbesondere aus dem Blick verloren, dass die Klägerin vorgetragen und unter Beweis gestellt hatte, die Beklagte habe sich an der sog. Pool-Vereinbarung zwischen mehreren Tankstellenpächtern und der Firma O beteiligt. Diesem Vortrag wäre nachzugehen gewesen.
[6] a) Schon die Auslegung des Warenkredit-Versicherungsvertrages betreffend Kraftstofflieferungen an den Pächter P bleibt zur Frage, welches Risiko die Klägerin übernommen hatte, insoweit unvollständig, als sich das BG mit der allgemeinen Feststellung begnügt, der Versicherungsschutz habe sich auch auf sog. Streckengeschäfte’ erstreckt. Es wäre weiter zu prüfen gewesen, ob sich das Leistungsversprechen auf jegliches Streckengeschäft bezog oder der Einschränkung unterlag, dass bei Abschluss solcher Streckengeschäfte keine besonderen Hinweise auf eine drohende Zahlungsunfähigkeit des Zweitabnehmers vorliegen durften, die ihrerseits die Bonität des Bestellers gefährdete.
[7] b) Im Weiteren wären die von der Klägerin vorgetragenen veränderten Umstände mit dem vertraglichen Soll-Zustand vergleichend zu würdigen gewesen. Das hat das BG weitgehend versäumt.
[8] aa) Zwar mag sein Hinweis darauf, dass dem versicherten Besteller nach dem Warenkreditversicherungsvertrag auch Streckengeschäfte erlaubt waren, noch denjenigen Bedenken begegnen, die die Klägerin ganz allgemein gegen solche Streckengeschäfte erhebt. Das betrifft das Argument, dass ein Tankstellenpächter beim Kraftstoffkauf für die von ihm betriebene Tankstelle mit den nachfolgenden Barverkäufen an Endabnehmer das Risiko ausbleibender Bezahlung breit streue und deshalb größere Zahlungsausfälle in der Regel nicht zu besorgen seien, während man sich mit einem Streckengeschäft für einen einzelnen Lieferungsempfänger allein von dessen Zahlungsfähigkeit und -willigkeit abhängig mache und dadurch grundsätzlich das Risiko eines Totalausfalls erhöhe.
[9] bb) Im Weiteren hat sich das BG aber nicht ausreichend mit der von der Klägerin vorgetragenen, teilweise auch unstreitigen besonderen Vorgeschichte der sog. Pool-Vereinbarung und den konkreten Hinweisen auf eine ...