Der Auffassung des OLG Karlsruhe ist zuzustimmen, weil sie dem Wortlaut und dem Sinn der Anrechnungsvorschrift der Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG entspricht.

Nicht Gegenstand der Entscheidung war die Frage, welchen Einfluss die Neuregelung des § 15a Abs. 1 RVG auf die Berechnung der Vergütung hat. Nach der das Innenverhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und dem Auftraggeber betreffenden Vorschrift des § 15a Abs. 1 RVG hat der Anwalt die Wahl, den Anrechnungsbetrag der Geschäftsgebühr nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG auf die Verfahrensgebühr oder auf die Geschäftsgebühr anzurechnen. Die Anrechnung auf die Geschäftsgebühr hat für die Vergütung im gerichtlichen Verfahren zwei Vorteile:

Die vom OLG Karlsruhe hier erörterte Frage der Reihenfolge von Anrechnung und Gebührenkürzung nach § 15 Abs. 3 RVG stellt sich gar nicht. Wird nämlich der Anrechnungsbetrag auf die Geschäftsgebühr angerechnet, ist allein zu prüfen, ob eine Gebührenkürzung gem. § 15 Abs. 3 RVG in Betracht kommt.
Im Vergütungsfestsetzungsverfahren gem. § 11 RVG kann ohne Berücksichtigung der Anrechnung der Geschäftsgebühr ein höherer Vergütungsbetrag tituliert werden als im Falle der Anrechnung auf die Verfahrensgebühr. Muss der Anwalt die Vergütung für die außergerichtliche Vertretung einklagen, so sind ggf. die Gerichts- und Anwaltskosten für diese Honorarklage geringer, weil dann auch nur ein geringerer Vergütungsbetrag einzuklagen ist.

Ob die Anrechnung des Anrechnungsbetrags auf die Geschäftsgebühr im Ergebnis vorteilhaft ist, kann sich erst aus einer Gegenrechnung ergeben. In dem vom OLG Karlsruhe behandelten Fall ergäbe sich dann folgende Vergütung:

I. Außergerichtliche Vertretung:

 
1,5 Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG (Wert: 28.510,00 EUR) 1.137,00 EUR
hierauf gem. Vorbem. 3 Abs. 4, § 15a Abs. 1 RVG anzurechnen:  
0,75 Geschäftsgebühr (Wert: 28.510,00 EUR) –568,50 EUR
Rest: 568,50 EUR

II. Gerichtliche Tätigkeit:

 
1. 1,6 Verfahrensgebühr, Nr. 3200 VV RVG (Wert: 13.478,00 EUR) 905,60 EUR
2. 1,1 Verfahrensgebühr, Nr. 3200, Nr. 2 der Anm. zu Nr. 3201 VV RVG (Wert: 28.510,00 EUR) 833,80 EUR
   
Zwischensumme: 1.739,40 EUR
   
gemäß § 15 Abs. 3 RVG jedoch nicht mehr als eine 1,6 Verfahrensgebühr (Wert: 41.988,00 EUR) mit die hier die Obergrenze bilden. 1.558,40 EUR,

An Geschäfts- und Verfahrensgebühren ergibt sich bei dieser Berechnungsweise eine Gesamtvergütung i.H.v. (568,50 EUR + 1.558,40 EUR =) 2.126,90 EUR.

Bei der von der Anwältin hier vorgenommenen Anrechnung des Anrechnungsbetrags auf die Verfahrensgebühr ergibt sich demgegenüber an Geschäfts- und Verfahrensgebühren ein Vergütungsanspruch i.H.v. (1.137,00 EUR + 1.170,90 EUR =) 2.307,90 EUR, der mithin um 181,00 EUR höher liegt, als bei der Anrechnung des Anrechnungsbetrages auf die Geschäftsgebühr.

In den Fällen der Gebührenkürzung gem. § 15 Abs. 3 RVG können sich bei Berücksichtigung der teilweisen Anrechnung der Geschäftsgebühr nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG unterschiedliche Vergütungsbeträge ergeben, je nachdem, ob der Anwalt den Anrechnungsbetrag auf die Geschäftsgebühr oder auf die Verfahrensgebühr anrechnet. Sicherlich kommt es im Einzelfall auch auf die Gegenstandswerte an, nach denen sich die jeweiligen Gebühren berechnen. Es empfiehlt sich deshalb, die Anrechnung der Geschäftsgebühr auch erst nach Beendigung der betreffenden Instanz vornehmen. Vorher weiß der Rechtsanwalt nämlich noch gar nicht, ob ihm im nachfolgenden Rechtsstreit wegen Einbeziehung nicht rechtshängiger Gegenstände in einen Vergleich eine Differenzverfahrensgebühr anfallen wird, bei der sich die hier behandelte Problematik ergeben kann. Bis dahin kann der Anwalt seinem Mandanten nach Beendigung der vorgerichtlichen Tätigkeit die unverminderte Geschäftsgebühr in Rechnung stellen.

Heinz Hansens

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