Vorbem. 3 Abs. 4, Nr. 2300, 3200, 3201, 3104 VV RVG; § 15 Abs. 3 RVG
Leitsatz
1. Ist dem bereits vorprozessual tätig gewesenen Prozessbevollmächtigten im Rechtsstreit für den Abschluss eines Vergleichs auch über nicht rechtshängige Gegenstände sowohl die volle als auch die Differenzverfahrensgebühr angefallen, so ist zuerst die für die außergerichtliche Tätigkeit angefallene Geschäftsgebühr anzurechnen und dann die Kürzung nach § 15 Abs. 3 RVG vorzunehmen.
2. Dem Prozessbevollmächtigten entsteht die Terminsgebühr auch hinsichtlich der nicht rechtshängigen Gegenstände, soweit über diese im gerichtlichen Verfahren verhandelt und eine Einigung hierüber erzielt wird.
(Leitsätze des Bearbeiters)
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 3.2.2011 – 5 WF 220/10
Sachverhalt
Die Rechtsanwältin hatte den Bekl. im Berufungsverfahren vor dem OLG Karlsruhe wegen Trennungsunterhalts mit einem Streitwert von 13.478 EUR vertreten. Im Verhandlungstermin haben die Parteien über den Abschluss eines Vergleichs verhandelt. Hierbei ging es es auch über nicht rechtshängige Ansprüche mit einem Streitwert von 28.510 EUR. Der Rechtsstreit endete durch Vergleich, in dem diese nicht rechtshängigen Ansprüche mit einbezogen wurden. Hinsichtlich der mit einbezogenen Gegenstände mit einem Wert von 28.510 EUR war die Anwältin für den Bekl. im Rahmen eines Vertretungsmandats auch außergerichtlich tätig gewesen.
Nach Beendigung des Berufungsverfahrens hat die Anwältin im Vergütungsfestsetzungsverfahren gem. § 11 RVG gegen den Bekl. – soweit hier von Interesse – folgende Vergütung geltend gemacht:
1. Außergerichtliche Vertretung:
1,5 Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG (Wert: 28.510,00 EUR) |
1.137,00 EUR. |
2. Gerichtliche Tätigkeit:
1. 1,6 Verfahrensgebühr, Nr. 3200 VV RVG (Wert: 13.478,00 EUR) |
905,60 EUR |
2. 1,1 Verfahrensgebühr, Nr. 3200, Nr. 2 der Anm. zu Nr. 3201 VV RVG (Wert: 28.510,00 EUR) |
833,80 EUR |
hierauf gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG anzurechnen: |
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0,75 Geschäftsgebühr aus I |
–568,50 EUR |
Rest: |
1.170,90 EUR |
zu 1. und 2. nicht mehr als eine |
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1,6 Verfahrensgebühr (Wert: 41.988,00 EUR) mit |
1.558,40 EUR |
die hier nicht erreicht werden |
|
3. 1,2 Terminsgebühr, Nr. 3202, Abs. 2 der Anm. zu Nr. 3104 VV RVG (Wert: 41.988,00 EUR) |
1.168,80 EUR |
Summe: |
2.339,70 EUR. |
Der Bekl. hielt für die gerichtliche Tätigkeit folgende Berechnung für zutreffend:
2. Gerichtliche Tätigkeit:
1. 1,6 Verfahrensgebühr, Nr. 3200 VV RVG (Wert: 13.478,00 EUR) |
905,60 EUR |
2. 1,1 Verfahrensgebühr wie bei der vorstehenden Berechnung |
833,80 EUR. |
gemäß § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als eine |
|
1,6 Verfahrensgebühr (Wert: 41.988,00 EUR) |
1.558,40 EUR |
hierauf gemäß Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG anzurechnen: |
|
0,75 Geschäftsgebühr aus I. |
–568,50 EUR |
Rest: |
989,90 EUR |
3. 1,2 Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 13.478,00 EUR) |
679,20 EUR |
Summe: |
1.669,10 EUR |
Der mit dem Vergütungsfestsetzungsantrag befasste Rechtspfleger des AG L – FamG – hat die Vergütung so festgesetzt, wie von dem Bekl. berechnet. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Anwältin hatte Erfolg.
2 Aus den Gründen:
„ … 1. Die Anrechnung der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG hat gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG auf die wegen desselben Gegenstandes später anfallende Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG zu erfolgen vor der Ermittlung der Verfahrensgebühr gem. § 15 Abs. 3 RVG und nicht auf diese (Leitsatz OLG Stuttgart, JurBüro 2009, 246).
Das OLG Stuttgart hat hierzu ausgeführt:
“Ausgehend vom Wortlaut der Anrechnungsvorschrift gem. Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VV und der Rspr. des BGH ist von Folgendem auszugehen: Die Anrechnungsvorschrift bezweckt unter einem aufwandsbezogenen Gesichtspunkt die Kürzung der Verfahrensgebühr, weil der Prozessbevollmächtigte aufgrund seiner vorprozessualen Befassung mit dem Streitstoff in der Regel nur einen geringeren Einarbeitungs- und Vorbereitungsaufwand hat. Dementsprechend besagt Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VV, dass die Anrechnung vorzunehmen ist, wenn “wegen desselben Gegenstands’ die vorgerichtliche Geschäftsgebühr und die gerichtliche Verfahrensgebühr entstanden sind. Hierfür spricht außerdem, dass der BGH (u.a. BGH NJW 2007, 3500; BGH NJW 2008, 1323) klargestellt hat, dass sich allein die wegen desselben Gegenstands später anfallende Verfahrensgebühr infolge der Anrechnung reduziert durch den anrechenbaren Teil der zuvor entstandenen Geschäftsgebühr, die ihrerseits von der Anrechnung unangetastet bleibt.’
Der Senat schließt sich dieser Bewertung an. Dagegen spricht im Ergebnis nicht die Überlegung des AG, dass die Anrechnung der Geschäftsgebühr nach der für den Kostenpflichtigen günstigsten Berechnungsmethode zu erfolgen hat. Das Gebührenrecht sucht einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Partei und des Rechtsanwalts. Einen Grundsatz, dass im Zweifel immer zugunsten der Partei zu entscheiden ist, gibt es hierbei nicht. Vorliegend ist eine pauschale Entscheidung zugunsten der Partei sachlich auch deswegen nicht überzeugend, weil der Grund der Anrechnungsvorschrift in Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG darin liegt, dass der v...