VVG § 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 3; § 205 Abs. 2 S. 2
Leitsatz
1. Der Versicherer muss den die Widerrufsfrist auslösenden Zeitpunkt des Zugangs des Versicherungsscheins und der weiteren Vertragsunterlagen voll beweisen.
2. Vermag der Versicherungsnehmer zu beweisen, dass er die Nachweise über den Eintritt der gesetzlichen Versicherungspflicht rechtzeitig abgesandt hat, so ist die Überschreitung des Zweimonatszeitraums durch einen verspäteten Zugang von dem Versicherungsnehmer nicht zu vertreten.
(Leitsätze der Schriftleitung)
LG Dortmund, Urt. v. 13.1.2011 – 2 O 139/10
1 Aus den Gründen:
„ … Die Klage ist unbegründet.
Die Kl. kann von der Bekl. keine Prämien für die abgeschlossene Krankenversicherung verlangen, weil die Bekl. ihre Vertragserklärung rechtzeitig widerrufen hat, § 8 Abs. 1 S. 1 VVG, jedenfalls aber eine rückwirkende Kündigung der Krankenversicherung nach § 205 Abs. 2 VVG durch die Bekl. erfolgt ist …
Die Bekl. hat ihre Vertragserklärung innerhalb von zwei Wochen wirksam widerrufen, § 8 Abs. 1 S. 1 VVG. Gem. § 8 Abs. 2 S. 1 begann die Widerrufsfrist zu dem Zeitpunkt, zu dem Versicherungsschein und Vertragsbestimmungen mit einer deutlich gestalteten Belehrung über das Widerrufsrecht der Bekl. zugegangen sind. Danach wäre der am 30.1.2008 durch die Nebenintervenientin erklärte Widerruf nur dann verspätet, wenn der Bekl. die genannten Vertragsunterlagen mehr als 14 Tage vorher zugegangen wären. Davon kann das Gericht indes nicht ausgehen.
1. Gem. § 8 Abs. 2 S. 3 VVG obliegt dem Versicherer der Nachweis über den Zugang der Unterlagen nach S. 1. Damit ist dem Versicherer nicht nur die Beweislast dafür auferlegt worden, dass dem Antragsteller die erforderlichen Unterlagen überhaupt zugegangen sind. Der Versicherer muss auch beweisen, dass die Unterlagen dem Antragsteller so rechtzeitig zugegangen sind, dass der Widerruf der Vertragserklärung außerhalb der 2-Wochen-Frist des § 8 Abs. 1 S. 1 VVG liegt. Dieser Auffassung entspricht der schon unter Geltung des alten VVG vorherrschenden Meinung, dass dem Versicherer ohne Zubilligung von Beweiserleichterungen oder Erfahrungssätzen der volle Beweis dafür obliegt, wann ein eine bestimmte Frist in Lauf setzendes Schreiben dem Antragsteller bzw. VN zugegangen ist (OLG Hamm VersR 2007, 1397). Die Absendung des Schriftstückes beweist weder dessen Zugang noch den Zugangszeitpunkt. Insoweit bestehen auch keine Erfahrungssätze, dass und innerhalb welcher Zeit Postsendungen den Empfänger erreichen. Der Versicherer ist insoweit auch nicht schutzwürdig. Er kann z.B. durch Einschreiben mit Rückschein ohne Probleme den Zugang beweisen. Wenn er aus Kostengründen auf eine Versendung mit Nachweismöglichkeit des Zugangs verzichtet, kann dies nicht zu Lasten der anderen Vertragspartei gehen. Der Auffassung des OLG Frankfurt VersR 2009, 1394, wonach bei einem unstreitigen Zugang eines Schreibens des Versicherers der Zeitpunkt des Zugangs nach § 270 S. 2 ZPO vermutet werden kann, vermag sich das Gericht deshalb nicht anzuschließen.
Der Kl. ist zuzugeben, dass sie den Beweis des Zugangs eines Schriftstückes auch mit Indizien führen kann. Dazu weist die Kl. darauf hin, dass der Vortrag der Bekl. durchaus widersprüchlich gewesen ist. So hat die Kl. mit der Streitverkündungsschrift vortragen lassen, dass ihr die Vertragsunterlagen am 12.1.2008 zugegangen seien. Diesen Vortrag hat die Bekl. jedoch bei ihrer Anhörung im Termin vom 23.9.2010 dahingehend korrigiert, dass sie nunmehr behauptet, die Vertragsunterlagen seien ihr überhaupt nicht, sondern wohl nur der Nebenintervenientin zugegangen. Aus diesem Widerspruch im Vortrag der Bekl. folgt indes zur Überzeugung des Gerichts nicht, dass die für die Kl. günstige Sachverhaltsdarstellung mit einem Zugangszeitpunkt 12.1.2008 richtig wäre, da nicht auszuschließen ist, dass ein Informationsversehen beim Prozessbevollmächtigten der Bekl. vorliegt …
III. Im Übrigen ist auch von einer rückwirkenden Kündigung der Krankenversicherung nach § 205 Abs. 2 VVG auszugehen. § 205 Abs. 2 S. 1 VVG bestimmt, dass eine versicherte Person, die kraft Gesetzes krankenversicherungspflichtig wird, binnen drei Monaten nach Eintritt der Versicherungspflicht eine Krankheitskostenversicherung rückwirkend zum Eintritt der Versicherungspflicht kündigen kann. Eine solche Kündigung ist durch die Nebenintervenientin erfolgt. Denn die Nebenintervenientin hat mit Schreiben v. 30.1.2008 der Kl. mitgeteilt, dass der Krankenversicherungsvertrag mit der Bekl. nicht zu Stande kommen wird, weil die Bekl. weiterhin gesetzlich pflichtversichert bleibt. Allerdings wird gem. § 205 Abs. 2 S. 2 VVG die auf S. 1 gestützte Kündigung unwirksam, wenn der VN dem Versicherer den Eintritt der Versicherungspflicht nicht innerhalb von zwei Monaten nachweist, nachdem der Versicherer ihn hierzu in Textform aufgefordert hat, es sei denn, der VN hat die Versäumung dieser Frist nicht zu vertreten. Dazu hat die Bekl. behauptet, dass sie den erforderlichen Nachweis innerhalb der 2-Monats-Frist an die Kl. gesandt hat, nachdem diese eine ...