Einleitung
Der Alltag auf deutschen Straßen – ein Auffahrunfall, ein Seitenaufprall oder ein Frontalzusammenstoß zwischen Fahrzeugen. Nachfolgend verspürt der Geschädigte einen Schmerz im Nacken oder es soll im Nacken schmerzen und fordert ein Schmerzensgeld. Eine Thematik, mit der sich Juristen immer wieder befassen müssen.
In Deutschland ereignen sich jährlich circa 4 Millionen Verkehrsunfälle, wobei es bei rund 10,7 % der Unfälle zu Personenschäden kommt. Bei der Hälfte dieser Personenschäden werden wiederum leichte HWS-Verletzungen beklagt – mit Versicherungsleistungen in Höhe von 500 Millionen Euro.
Bei den ständigen Verbesserungen der Sicherheitssysteme der Fahrzeuge ist eine solche Verletzungsquote schwer nachvollziehbar, da sich die hier betrachteten Verkehrsunfälle im Niedriggeschwindigkeitsbereich ereigneten, so dass polemisch unweigerlich die Frage gestellt werden müsste, ob die Sicherheitssysteme der Fahrzeughersteller nicht das halten, was sie versprechen.
Von den rund 200.000 Verkehrsunfällen mit beklagten leichten HWS-Verletzungen wird nur ein geringer Anteil durch die Gerichte entschieden und zwar dann, wenn der Unfallgeschädigte und der KfZ-Haftpflichtversicherer des Schädigers unterschiedlicher Auffassung darüber sind, ob überhaupt eine HWS-Distorsion durch den Unfall hervorgerufen werden konnte und wenn ja, wie hoch der entsprechende Schmerzensgeldanspruch zu bemessen ist.
Der Autor möchte klar voranstellen, dass einem Unfallgeschädigten ein entsprechender Schmerzensgeldanspruch zusteht und angemessen auszugleichen ist, wenn eine unfallbedingte Verletzung der HWS nachgewiesen ist. Ist dies nicht der Fall, ist solchen Ansprüchen entgegenzutreten, da ein Ausgleich oder eine Zahlung eines Schmerzensgeldes zu einem Nachteil der Versichertengemeinschaft führen würde.
Nachfolgend sollen nur die letztgenannten Ansprüche behandelt werden, da die deutsche Versicherungswirtschaft über alle Sparten nach Angaben des GDV jährlich mit rund 4 Milliarden EUR aus unberechtigten Ansprüchen belastet wird. Insoweit wird sich der Aufsatz eher an die Richterschaft und Versicherer sowie deren beauftragte Rechtsanwälte richten. Aber auch an den Anwalt des Anspruchstellers im Rahmen seiner Pflicht zur Aufklärung über die Erfolgsaussichten der Geltendmachung von Ansprüchen.
Der Problematik soll sich zunächst in einer kurzen medizinischen Betrachtung genähert werden, um sich nachfolgend mit den rechtlichen Fragestellungen zu befassen, wobei sich die beiden Betrachtungsweisen in sich bedingen.
1. Was ist eine HWS-Distorsion?
Durch starke Beugung und Überstreckung der Halswirbelsäule in Folge einer abrupten Krafteinwirkung bei dem Aufprall zwischen zwei Fahrzeugen (weshalb auch von Peitschenschlagverletzung oder Whiplash-Injury gesprochen wird) wird eine Weichteilverletzung der dortigen Bänder und Muskeln hervorgerufen, die zu einer Steilstellung der HWS und Verspannung der paravertebralen (neben der Wirbelsäule gelegenen) Muskulatur sowie Blockaden der HWS führen kann.
Teilweise kann es durch Einrisse der Bänder und Muskeln zu Einblutungen kommen, wobei solche als Erklärung für eine Latenz (Verborgenheit/Passivität) über Tage bis Wochen abklingender muskelkaterartigen Nackenschmerzen bzw. Nackensteife bisher nicht nachgewiesen wurden.
Eine unmittelbare Beteiligung des Gehirns im Sinne eines so genannten zervikozephalen Syndroms (reiner Nackenschmerz, der oft mit Ausstrahlungen in die Schulter und ohne neurologische Symptomatik verbunden ist) ohne ein zusätzliches Schädel-Hirn-Trauma ist unplausibel und durch methodisch strenge Untersuchungen nicht nachgewiesen.
Neben dem Begriff HWS-Distorsion werden in ärztlichen Attesten auch weitere Synonyme verwendet, wie HWS-Syndrom, HWS-Schleudertrauma, Zervikalsyndrom oder Beschleunigungstrauma.
Die Bezeichnungen können beliebig ausgetauscht werden, wobei letztendlich jedoch ausgedrückt werden soll, dass die HWS durch den Aufprall eine Peitschenbewegung erfahren hat, die zu einer Verletzung derselben geführt habe.
Prof. Dr. Castro vom Orthopädischen Forschungsinstitut Münster führt diesbezüglich aus, dass die Diagnose "Schleudertrauma" in den ärztlichen Attesten eigentlich nicht korrekt ist, da der Begriff allenfalls auf einen Unfallmechanismus deutet, ohne einen Verletzungsschaden bzw. verletzte Strukturen zu benennen.
Prof. Dr. med. Graw vom Institut für Rechtsmedizin der Universität München verweist darauf, dass z.B. ein HWS-Syndrom meist als chronische Symptomatik bezeichnet wird, die durch von der HWS oder den HWS-Bereich betreffende Schmerzen geprägt ist, was noch keinen Zusammenhang zum Unfallgeschehen herleitet.
Weiter führt er aus, dass es sich entweder bei dem attestierten HWS-Syndrom um eine andere Bezeichnung für eine HWS-Distorsion handelt oder es wird eine chronische und dementsprechend bereits vor dem Unfall bestehende Schmerzsymptomatik berücksichtigt.
Schon hie...